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Ohne jede Spur

Ohne jede Spur

Titel: Ohne jede Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Klappstühle, den Spielekorb – nur nicht in das schmerzerfüllte Gesicht des kleinen Mädchens. Miller rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. Jason Jones jedoch verzog keine Miene und schwieg.
    «Erzähl mir von deiner Familie», sagte Marianne. D.   D. glaubte die Taktik der Psychologin durchschaut zu haben. War ein heikler Punkt getroffen, wich sie auf ein unverfänglicheres Thema aus, um später auf das Eigentliche zurückzukommen.
    «Da sind meine Mommy, mein Daddy und ich», begann die Kleine. Sie zupfte wieder an Lil’ Bunnys Schlappohren. «Und natürlich Mr   Smith. Zwei Mädchen und zwei Jungen.»
    D.   D. skizzierte die Familienkonstellation aus Sicht des vierjährigen Kindes.
    «Und die Verwandtschaft?», fragte Marianne. «Gibt es auch Tanten, Onkel, Oma und Opa?»
    Ree schüttelte den Kopf.
    D.   D. schrieb:
Angehörige???
Das Kind schien von seinen Großeltern nichts zu wissen und bestätigte damit indirekt Jasons Behauptung, wonach sich Sandra von ihrem Vater entfremdet hatte. Dass Ree auch Jasons Elternnicht zu kennen schien, legte die Vermutung nahe, dass dieser seine Herkunft erfolgreich verschwiegen hatte.
    «Kommt manchmal ein Babysitter zu euch ins Haus? Jemand, der auf dich aufpasst?»
    Ree schaute Marianne verständnislos an. «Mommy und Daddy passen auf mich auf.»
    «Natürlich. Aber was, wenn sie arbeiten oder etwas Wichtiges zu besorgen haben?»
    «Wenn Daddy arbeitet, passt Mommy auf mich auf», antwortete Ree. «Dann kommt Daddy nach Hause, und Mommy geht arbeiten. Daddy schläft, wenn ich im Kindergarten bin. Dann holt er mich ab, und wir sind das Daddy-Tochter-Team.»
    «Verstehe. In welche Schule gehst du, Ree?»
    «Das ist ein großes Haus mit vielen großen Kindern. Ich bin aber noch in der Kleine-Blümchen-Klasse und komme erst nächstes Jahr zu den großen, wenn ich fünf bin.»
    «Wie heißen deine Lehrer?»
    «Miss Emily und Mrs   Suzy.»
    «Und deine besten Freunde?»
    «Mimi und Olivia. Wir spielen Feenspiele. Ich bin eine Gartenfee.»
    «Du hast also Freunde. Wie ist es mit Mommy und Daddy? Haben die auch Freunde?»
    Es war eine jener Routinefragen, die in Fällen von Kindesmisshandlung gestellt wurden, wenn die tatverdächtige Person nicht zur Verwandtschaft gehörte, sondern aus der Nachbarschaft oder aus dem Freundeskreis der Familie stammte. Das Kind sollte seine eigene Welt definieren,damit später, wenn ein Name genannt wurde, nicht der Eindruck entstehen konnte, das Kind sei suggestiv beeinflusst worden.
    Ree schüttelte den Kopf. «Daddy sagt, ich bin seine beste Freundin. Außerdem arbeitet er viel, deshalb hat er keine Zeit für Freunde. Daddys sind immer sehr fleißig.»
    Diesmal war es Miller, der Jason beobachtete. Rees Vater stand immer noch reglos vor der Wand und starrte durch die Scheibe wie ein unbeteiligter Zuschauer. Nach einer Weile wandte sich Miller wieder von ihm ab.
    «Ich finde Mrs   Lizbet nett», sagte Ree von sich aus. «Aber sie und Mommy spielen nicht miteinander. Sie sind beide Lehrerinnen.»
    «Wie darf ich das verstehen?», fragte Marianne.
    «Mrs   Lizbet unterrichtet in der siebten Klasse. Letztes Jahr hat sie Mommy geholfen, Lehrerin zu werden. Jetzt unterrichtet Mommy in der sechsten Klasse. Aber wir sehen Mrs   Lizbet manchmal noch. Beim Basketball.»
    «Wirklich?»
    «Ja, ich liebe Basketball. Mommy nimmt mich mit zu den Spielen. Daddy arbeitet. Und deshalb sind wir abends immer das Mommy-Tochter-Team.» Ree schien für eine Weile vergessen zu haben, warum sie in diesem Raum war, aber plötzlich legte sich ein Schatten auf ihr Gesicht. Sie ließ die Schultern hängen, beugte sich wieder über ihr Stofftier und zupfte es am Ohr.
    Im Rücken von D.   D. verriet nun auch Jason Jones eine Regung.
    «Wann hast du deine Mommy das letzte Mal gesehen?», fragte Marianne leise.
    Die Antwort war kaum zu verstehen. «Sie hat mich ins Bett gebracht.»
    «Kennst du die Wochentage, Ree?»
    Ree fing mit zarter Stimme zu singen an: «Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch   … Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag.»
    «Großartig. Könntest du mir auch sagen, an welchem Tag dich deine Mutter ins Bett gebracht hat?»
    Ree stierte vor sich hin. Dann sang sie wieder: «Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch   …»
    Marianne nickte mit dem Kopf. Das Kind kannte die Wochentage offenbar nur als Wörter in einem Lied. Zum Glück gab es andere Möglichkeiten, kindlichen Zeugen Informationen über zeitliche Abläufe zu entlocken. Man konnte

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