Ohne jede Spur
darauf an, die Öffentlichkeit an der Suche nach Sandra Jones zu beteiligen. Auchnach siebenunddreißig Stunden bestand noch Hoffnung, sie lebend zu finden. Nicht mehr viel. Aber immerhin ein wenig.
Sie legte einen Schreibblock und zwei Kugelschreiber auf den Tisch des Observationszimmers. Miller war auch schon da und saß auf dem Stuhl neben der Tür, gedankenverloren, wie es schien, denn er zupfte unentwegt an seinem Schnauzbart. D. D. fand, dass er sich davon trennen sollte. Diese Art der Gesichtbehaarung schrie förmlich nach einem hellblauen Freizeitanzug, und darin mochte sie sich Detective Brian Miller nicht einmal vorstellen. Aber das behielt sie für sich. Männer konnten sehr empfindlich sein.
D. D. knipste an einem der beiden Kugelschreiber herum, fuhr die Mine aus und ein. Die Lautsprecher waren eingeschaltet und bereit, das zu übertragen, was im Vernehmungszimmer gesagt werden würde. Umgekehrt würde Marianne über einen kleinen Knopf im Ohr in Verbindung mit D. D. sein und deren Fragen entgegennehmen können, die jedoch, und darum hatte Marianne ausdrücklich gebeten, kurz und präzise sein müssten. Als Faustregel für die Befragung von Kindern galt eine zeitliche Dauer von Alter mal fünf Minuten, das heißt, um in Erfahrung zu bringen, was die vierjährige Zeugin Clarissa Jones wusste, mussten zwanzig Minuten ausreichen.
Sie hatten sich vorweg auf eine Strategie verständigt: Zunächst würde Clarissas Glaubwürdigkeit überprüft werden. Erst dann sollten Fragen zum Geschehen am Mittwochabend und in der Nacht auf Donnerstag gestelltwerden. Eine Menge Stoff, den es in dieser einen Sitzung aufzuarbeiten galt, zumal Marianne darauf hingewiesen hatte, dass eine wiederholte Vernehmung kindlicher Zeugen zu riskant war, weil jeder Strafverteidiger versuchen würde, Manipulation zu unterstellen. Darum hatte Marianne ihnen, D. D. und Miller, maximal zwei Gespräche mit der Kleinen in Aussicht gestellt, das eine hatte ja bereits am Donnerstagmorgen im Hause der Jones stattgefunden.
Von der Rezeption wurde gemeldet, dass Jason und seine Tochter eingetroffen waren. Marianne eilte sofort nach unten, um sie in Empfang zu nehmen. Manche Kinder fanden den Anblick uniformierter Polizisten spannend, viele aber schüchterte er ein. Mit Fremden zu reden fiel den meisten schwer genug, und Marianne wollte Ree nicht zumuten, dass sie zu allem Übel auch noch in Angst versetzt wurde.
D. D. und Miller hörten die Schritte im Flur. Beide wandten sich erwartungsvoll der Tür zu, und D. D. spürte trotz aller guten Vorsätze Nervosität in sich aufsteigen. Ein Kind in zwanzig Minuten zu vernehmen war schlimmer als die Konfrontation mit der Pressemeute und dem neuen Polizeipräsidenten zusammen. Reporter waren ihr egal, so auch, meist jedenfalls, der neue Vorgesetzte. Doch traumatisierten Kindern gegenüber fühlte sie sich schrecklich unwohl.
Bei ihrer ersten Vernehmung eines Kindes – es war ein elfjähriges Mädchen gewesen – hatte es sie gefragt, ob sie sein «Menü» sehen wolle, und dann hatte es ein Stück Papier aus der Tasche gezogen, das zu einem winzigenQuadrat zusammengefaltet war: ein Menü aus sexuellen Handlungen, das sein Stiefvater zusammengestellt hatte.
Ihm einen runterholen – ein Quarter; Lutschen – fünfzig Cent; Vögeln – ein Dollar.
Das Mädchen hatte zwanzig Dollar aus der Brieftasche seines Stiefvaters gestohlen und auf diese Weise zurückzahlen müssen. Als er ihr dann einmal den Lohn für ihre «Dienste» schuldig geblieben war, hatte sie ihn aus Wut bei der Polizei angezeigt. Oh, welch schreckliche Geschichten waren in diesem Raum erzählt worden …
Die Schritte kamen vor der Tür zum Stehen. D. D. hörte Mariannes Stimme.
«Warst du schon einmal in einem Zauberzimmer, Clarissa?»
Keine Antwort. Vermutlich schüttelte Ree leicht den Kopf.
«Nun, dann werde ich dir jetzt mal eines zeigen. Es hat einen hübschen Teppich, zwei Stühle und auch Spielsachen für dich. Aber es ist auch ein sehr besonderer Raum mit ganz besonderen Regeln. Die werde ich dir noch erklären, aber jetzt solltest du erst einmal deinem Daddy Goodbye sagen. Er wartet in diesem Zimmer auf dich, wird also ganz in der Nähe sein für den Fall, dass du ihn sehen möchtest. Das Zauberzimmer ist ganz allein für dich und mich.»
Immer noch keine Antwort.
«Sag mal, wie heißt das Bürschchen in deinem Arm? Oh, Verzeihung, es ist ja ein Mädchen. Lil’ Bunny? Hätte ich mir auch denken
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