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Ohne jede Spur

Ohne jede Spur

Titel: Ohne jede Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Mutprobe?»
    «Ich wollte die Eigentümerin besuchen, aber die war in der Nacht gestorben. Sie saß tot auf ihrem Sofa, neben ihrem Bruder, was ich interessant fand, denn der war schon seit fünfzig Jahren tot.»
    Ich glaubte ihm kein Wort. «Und was hast du getan?»
    «Mich bedankt.»
    «Wofür?»
    «Dafür, dass er mir einmal das Leben gerettet hat.»
    Mich ärgerte, was und wie er es sagte. Schlimmer noch, meine Nervenzellen waren durch seine Berührungen zum Leben erwacht.
    «Wird es nie anders sein zwischen uns?», blaffte ich.
    «Wie meinst du das?» Er zog seine Hand zurück, und ich sah ihm an, dass er wieder dichtmachte.
    «Immer nur unvollständige Antworten und Halbwahrheiten. Ich habe eine einfache Frage gestellt. Du speist mich mit Nonsens ab und behältst den Rest für dich.»
    «Ich weiß nicht», sagte er leise, «ob es jemals anders sein wird zwischen uns.»
    «Wir sind verheiratet», erinnerte ich ihn. «Seit drei Jahren, um Himmels willen. Wär’s nicht angebracht, wir würden offen miteinander umgehen, uns wechselseitig unsere tiefsten Wünsche und Geheimnisse anvertrauen oder zumindest Auskunft darüber geben, wer wir sind und woher wir kommen? Ist Ehe nicht zu verstehen als Dialog, der ein
ganzes Leben lang geführt wird? Sollten wir nicht mehr Interesse füreinander aufbringen und darauf vertrauen, dass wir uns gegenseitig helfen und guttun?»
    «Sagt wer?»
    Ich glaubte, nicht richtig zu hören. «Wie bitte?»
    «Sagt wer? Wer stellt solche Regeln auf, wer setzt solche Erwartungen in die Welt? Wer sagt, dass Eheleute mehr Interesse füreinander aufbringen sollen, dass sich Eltern um ihre Kinder kümmern, dass Nachbarn füreinander einspringen? Wer verteilt solche Ratschläge, und was haben wir davon?»
    Er sprach immer noch mit ruhiger Stimme, aber ich wusste, worauf er abzielte, und seine Gedanken machten mir Angst.
    «Erzähl mir von deiner Mutter, Sandy», sagte er leise.
    «Hör auf.»
    «Du willst meine Geheimnisse kennenlernen, behältst aber deine für dich.»
    «Meine Mutter ist gestorben, als ich fünfzehn war. Ende der Geschichte.»
    «Herzinfarkt», sagte er in Erinnerung an das, was ich ihm früher einmal zu diesem Thema gesagt hatte.
    «Soll vorkommen.» Ich wandte mich von ihm ab.
    Eine Weile später spürte ich seine Fingerspitzen auf meiner Wange. Dann strich er über meine gesenkten Wimpern.
    «Es wird immer so sein zwischen uns», flüsterte er. «Aber nicht für Ree.»
    «Es gibt Dinge, die, wenn sie verloren gehen, nicht mehr zurückzuholen sind», entgegnete ich.
    «Ich weiß.»
    «Auch wenn man es sich noch so sehr wünscht. Auch wenn man noch so sehr danach sucht oder von neuem anfängt. Es hilft nicht. Manches bleibt für immer auf der Strecke. Und man kann das, was man weiß, nicht vergessen machen.»
    «Verstehe.»
    Ich stand vom Sofa auf. Ich war so erregt, dass ich mir wieder den Duft von Rosen einbildete. Ich
hasse
diesen Duft. Warum kann ich mich nicht davon befreien? Ich habe das Haus meiner Eltern und meine Heimatstadt fluchtartig verlassen. Aber dieser verdammte Duft verfolgt mich wohin auch immer.
    «Sie war krank im Kopf», platzte es aus mir heraus. «Alkoholsüchtig. Sie hat   … sie hat entsetzliche Sachen gemacht, und wir, mein Vater und ich, haben sie gewähren lassen. Wir haben uns Tag für Tag von ihr quälen lassen und uns darüber ausgeschwiegen. Wer in einer Kleinstadt lebt, muss auf seinen guten Ruf achten, du verstehst.»
    «Hat sie dich geschlagen?»
    Ich musste laut auflachen, was aber alles andere als heiter klang. «Sie hat mir Rattengift verabreicht, damit sie mich zum Arzt bringen und zusehen konnte, wie mir der Magen ausgepumpt wurde. Ich war für sie ein Spielzeug, eine hübsche kleine Puppe, die sie kaputt machte, sooft sie Aufmerksamkeit wünschte.»
    «Münchhausen-Syndrom.»
    «Kann sein. Ich habe nie einen Experten gefragt.»
    «Warum nicht?»
    «Sie ist tot. Was soll’s?»
    Er schaute mich an. Ich ging auf seinen Lockversuch nicht ein.
    «Und dein Vater?», fragte er.
    «Er war Richter mit einem guten Ruf, den es zu schützen galt. Sollte er zugeben, dass ihm seine Frau jede zweite Nacht eine Ginflasche über den Schädel zog? Wär nicht gut fürs Geschäft.»
    «Das hat er sich gefallen lassen?»
    «So läuft es doch immer, oder?»
    «Leider. Sag’s mir, Sandy, wie ist sie gestorben?»
    Ich presste die Lippen aufeinander.
    «An Kohlenmonoxid», sagte er schließlich. Er fragte nicht, sondern stellte fest. «Aufgefunden in

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