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Ohne jede Spur

Ohne jede Spur

Titel: Ohne jede Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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ihrem Wagen in der Garage. Ich tippe auf Selbstmord. Mag aber auch sein, dass sie zu viel getrunken hat und am Steuer kollabiert ist. Was ich nicht verstehe, ist, warum es keine Untersuchung gab. Ihr habt in einer Kleinstadt gelebt, und irgendjemand muss doch zumindest eine Ahnung davon gehabt haben, wie sie mit euch umgesprungen ist.»
    Ich starrte ihn fassungslos an. Ich starrte und starrte. «Du wusstest Bescheid?»
    «Natürlich. Hätte ich dich sonst geheiratet?»
    «Du hast mich
ausspioniert

    «Kann ich nur jedem empfehlen, der ein Mädchen zum Altar führen will.» Er berührte meinen Arm. Diesmal rückte ich von ihm ab. «Du glaubst, ich hätte dich wegen Ree geheiratet. Davon warst du überzeugt, nicht wahr? Aber dem ist nicht so. Jedenfalls nicht allein ihretwegen. Es war auch wegen deiner Mutter, Sandy. Weil wir einander
ähnlich sind. Du weißt, es gibt tatsächlich Monster, und die halten sich nicht immer unterm Bett versteckt.»
    «Ich konnte nichts dafür», hörte ich mich selbst sagen.
    Er schwieg.
    «Sie war psychisch labil. Sie hätte sich früher oder später umgebracht, so oder so. Und sei es nur, um uns zu guter Letzt nochmal eins auszuwischen.» Ich plapperte drauflos und hörte nicht mehr auf. «Ich war mittlerweile so groß, dass sie mich nicht mehr ohne weiteres von einer Unfallstation zur nächsten schleppen konnte. Also hat sie sich ein letztes Mal volllaufen lassen und sich dann umgebracht. Nicht ohne vorher ihre eigene Beerdigung organisiert zu haben, die größte, die die Stadt je gesehen hat. Mit Bergen von Rosen. Ich übertreibe nicht, es waren Berge verfluchter Rosen   …»
    Ich hatte die Fäuste geballt und starrte meinen Mann an. Sollte er mich doch verurteilen und als undankbare Tochter schmähen, als Haufen Dreck.
Sieh mich an,
wollte ich schreien.
Als meine Mutter lebte, habe ich sie gehasst. Seit sie tot ist, hasse ich sie noch mehr. Ja, ich bin
nicht
normal
.
    «Ich verstehe», sagte er.
    «Danach dachte ich, jetzt wird alles gut. Ich dachte, mein Vater und ich könnten endlich in Frieden leben.»
    Jason musterte mich aufmerksam. «Als wir uns kennenlernten, hast du gesagt, du wolltest weg und nie mehr zurückblicken. Es war dir ernst, nicht wahr? In all den Jahren, die wir zusammen sind, hast du kein einziges Mal deinen Vater angerufen, ihn nie wissen lassen, wo du jetzt lebst oder dass wir eine Tochter haben.»
    «Nein.»
    «Hasst du ihn so sehr?»
    «So sehr und noch mehr.»
    «Wahrscheinlich liebte er deine Mutter mehr als dich», stellte Jason fest. «Anstatt dich in Schutz zu nehmen, hat er sie gedeckt. Und das kannst du ihm nicht verzeihen.»
    Ich habe darauf nicht sofort geantwortet, weil ich mir in diesem Moment meinen Vater vorstellte, sein charmantes Lächeln und die Fältchen, die sich dann am Rand seiner hellblauen Augen zeigten. Schon mit einer kleinen Geste konnte er einem das Gefühl vermitteln, im Mittelpunkt des Universums zu stehen. Ich war jetzt so wütend, dass ich kein Wort herausbekam.
    Ich weiß was, was du nicht weißt. Ich weiß was, was du nicht weißt.
    Sie hatte recht behalten, verdammt recht.
    «Du hast gesagt, wir seien anders», krächzte ich heiser. «Wir wüssten es besser, und uns sei klar, dass sich nicht alle Monster unterm Bett versteckt halten.»
    Jason nickte.
    «Dann versprich mir bitte eines: Falls du jemals meinem Vater begegnen solltest, schlag ihn zuerst tot und stell deine Fragen später. Er darf nie mit Ree in Berührung kommen. Versprich mir das, Jason.»
    Er sah mir in die Augen und sagte: «Versprochen.»
     
    Ree war in ihrem Kindersitz eingeschlafen, noch ehe Jason den Parkplatz verlassen hatte. Mr   Smith lag auf dem Beifahrersitz, leckte seine Pfote und rieb sich damit über die Wange, leckte und rieb. Jason fuhr auf die Interstatezu. Er hatte kein Ziel und wusste nicht, was er tun sollte.
    Er war müde. Erschöpft. Am liebsten hätte er sich in seinem Haus verschanzt, die Welt verschwinden lassen und so lange geschlafen, bis Sandra ihn wecken und lächelnd auf ihn herabblicken würde.
    «Wach auf, du Langschläfer», würde sie sagen, und er würde sie in seine Arme schließen und halten, wie er sie in den vergangenen fünf Jahren hätte halten sollen. Er würde seine Frau umarmen und mit ihr und Ree wieder glücklich sein können. Sie würden eine Familie sein.
    Er konnte nicht nach Hause zurückkehren. Die Übertragungswagen der Fernsehsender würden Stoßstange an Stoßstange in der Straße parken und ihre

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