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Ohne jede Spur

Ohne jede Spur

Titel: Ohne jede Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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ab und nahm Ree an die Hand. Sie gingen durch den Flur, der sich, kaum dass die Pausenglocke anschlug, mit Schülern füllte. Ree ließ sich von dem Durcheinander ablenken undersparte ihm die Fragen, die sie jetzt sicherlich an ihn hatte.
    Sie bogen rechts ab in einen Gang mit einer Reihe blaulackierter Schließfächer, danach links vorbei an solchen in strahlendem Orange. Elizabeth Reyes, Mrs   Lizbet genannt, unterrichtete Gemeinschaftskunde in der siebten Klasse, die am Ende des Gangs lag. Sie war Anfang fünfzig, anmutig schlank und hatte silbergraue Strähnen im Haar, die sie zu einem festen Knoten zusammengebunden hatte. Als Jason und Ree das Klassenzimmer betraten, wischte sie gerade mit einem Schwamm die Wandtafel ab.
    «Mrs   Lizbet!», rief Ree und stürmte auf die Lehrerin zu.
    Mrs   Lizbet hockte sich hin, um die Kleine in ihre Arme schließen zu können. «Ree-Ree! Wie geht es dir, meine Süße?»
    «Gut», antwortete Ree kleinlaut. Sie war zwar erst vier, wusste aber bereits, dass man sich aus Höflichkeit immer heiter gab.
    «He, und wer ist das?»
    «Lil’ Bunny.»
    «Hallo, Lil’ Bunny. Was für ein hübsches Kleidchen!»
    Ree kicherte und schmiegte sich an sie. Erwachsenen gegenüber war sie sonst eher zurückhaltend, doch Jason merkte seiner Tochter an, dass sie sich nach dem vertrauten Trost einer Frau sehnte. Mrs   Lizbet schaute ihn über Rees Kopf hinweg an, und er versuchte, ihrem aufmerksamen Blick standzuhalten. Es schien, dass sie sich vorgenommen hatte, von seiner Unschuld auszugehen, ihmweder wie die Polizei mit Argwohn zu begegnen, noch ihn wie Adele überschwänglich zu bemitleiden.
    «Süße», sagte sie und löste sich aus Rees Umarmung. «Erinnerst du dich an Jenna Hill aus der Basketballmannschaft? Nun, ich weiß zufällig, dass sie gerade Pause hat und schrecklich gerne mit jemandem trainieren würde. Was meinst du? Hättest du Lust, ein paar Körbe zu werfen?»
    Rees Augen strahlten. Sie nickte heftig mit dem Kopf.
    Mrs   Lizbet hielt ihr die Hand hin. «Also dann, komm mit. Ich bring dich zu Jenna, und ihr beide könnt dann fleißig trainieren. Dein Vater und ich brauchen noch ein Weilchen, kommen aber dann zu euch.»
    Jason war beeindruckt, auf welch geschickte Art und Weise sie die Gelegenheit für ein offenes Gespräch mit ihm schuf.
    Ree folgte ihr zur Tür, blieb aber auf der Schwelle plötzlich stehen – was erkennen ließ, wie aufgewühlt sie war. Sie wollte bei ihrem Vater bleiben, dem einzigen Halt in einer Welt, die sich aufzulösen drohte, mochte aber auch nicht darauf verzichten, mit Jenna, der Sportskanone, zu spielen, die sie so bewunderte wie einen Rockstar.
    Nach kurzem Zögern straffte Ree ihre kleinen Schultern und ließ sich von Mrs   Lizbet durch den Gang führen. Jason blieb allein im Klassenzimmer zurück. Kaum war seine Tochter weg, vermisste er sie mehr, als diese ihn je vermissen könnte, und er fragte sich, wie es sein konnte, dass er sich im Hass stark fühlte, liebend aber so verletzlich war.
     
    Elizabeth Reyes hatte sich im vergangenen Jahr als Betreuungslehrerin um Sandra gekümmert und stand ihr auch nach der Festeinstellung als erfahrene Kollegin zur Seite. Jason war ihr mindestens ein Dutzend Mal über den Weg gelaufen, meist dann, wenn er Sandra zur Schule gebracht oder abgeholt oder Ree gelegentlich zur Mittagspause dort abgesetzt hatte. Zu einem Gespräch aber war es nie gekommen, und sie wussten nur wenig voneinander.
    Ins Klassenzimmer zurückgekehrt, machte sie die Tür hinter sich zu. Er sah, wie sie einen Blick auf die Uhr warf und nervös ihren Rock glatt strich. Aber vielleicht täuschte der Eindruck. Immerhin unterrichtete diese Frau seit über zwanzig Jahren Siebtklässler. Kaum zu glauben, dass sie sich so leicht aus der Ruhe bringen ließ.
    Sie ging nach vorn vor die Wandtafel, wo sie sich, wie Jason vermutete, am wohlsten fühlte. «Wir haben heute Morgen von Phil erfahren, dass Sandy seit Mittwochnacht vermisst wird. Er sagte, die Polizei wisse nicht, was passiert ist. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte.»
    «Ich habe in dieser Nacht gearbeitet, musste einen Artikel über einen Hausbrand fertig machen», erklärte Jason. «Zurück war ich gegen zwei. Ree schlief, aber außer ihr war niemand im Haus. Auf dem Küchentresen lagen Sandys Tasche und Handy. Ihr Auto stand in der Auffahrt. Doch sie war nirgends zu finden.»
    «Gütiger Gott.» Elizabeth griff zum Pult, um sich abzustützen. Ihre Hände zitterten merklich. «Ich

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