Ohne jede Spur
seine Optionen.
Aber der Junge überraschte sie. Er zeigte jetzt das Rückgrat, das ihm anfangs zu fehlen schien.
«Ich habe die Frau nicht angerührt», wiederholte er steif und fest. «Aber ich habe jemanden gesehen.»
D. D. und Miller schauten ihn überrascht an. Für eine solche Eröffnung war es reichlich spät. Entsprechend skeptisch waren beide.
«Ich habe in dieser Nacht etwas gehört, bin davon aufgewacht. Und weil ich aufs Klo musste, bin ich aufgestanden. Beim Blick durch das Fenster –»
«Welches Fenster?», unterbrach D. D.
«Das da, über der Spüle», zeigte Aidan, worauf D. D. zur Kochnische ging. Die meisten Häuser in Southie standen in Reih und Glied, doch das, in dem Aidan wohnte, war ein Stück zurückgesetzt und erlaubte einen guten Blick auf die Straße.
«Ich habe ein Auto kommen sehen. Es fuhr langsam, als wäre es gerade aus einer Ausfahrt in die Straße eingebogen. Ist ja eigentlich nicht ungewöhnlich, aber es war ein Uhr, und das hat mich doch ein bisschen stutzig gemacht.»
D. D. sagte nichts, obwohl sie sofort daran dachte, dass Aidans Nachbar Jason Jones sehr wohl, und zwar regelmäßig in den frühen Stunden, auf dieser Straße unterwegs war.
«Ziemlich auffälliges Auto», erklärte Aidan. «Hattejede Menge Antennen auf dem Dach. Sah aus wie eine dieser Servicelimousinen.»
«Welche Farbe?», wollte Miller wissen.
Der Junge zuckte mit den Achseln. «Dunkel.»
«Kennzeichen?»
«Es war Nacht, Mann. Hab ich Röntgenaugen?»
«Aus welcher Richtung kam das Auto?»
«Von dahinten, wo Sandy Jones wohnt.»
«Sie kennen ihren Namen», bemerkte D. D. mit scharfem Ton.
Aidan sah sie kurz an. «Den kennt inzwischen jeder. Sie haben ihn doch selbst über die Medien ausposaunen lassen.»
«Sie machen uns auch nichts vor, Aidan? Ich finde es seltsam, dass Sie was gesehen haben wollen.»
«Hab ich mir aufgespart. Muss sich ja schließlich lohnen, oder? Sie wollen meinen Kopf, ich biete Ihnen einen Trostpreis. Ich habe die Frau nicht angerührt, aber wenn Sie diesen Wagen und dessen Fahrer finden, haben Sie vielleicht den Täter. Das wäre in unser beider Interesse.»
D. D. zollte dem Jungen im Stillen Respekt, hatte er es doch tatsächlich geschafft, sie von seinem Kleiderschrank fernzuhalten.
Sie warf Miller einen Blick zu und sah, dass der offenbar zu einer ähnlichen Einschätzung gekommen war. Das Verhör war beendet. Mehr als die vage und äußerst fragwürdige Beschreibung eines rätselhaften Fahrzeuges würde aus dem Jungen nicht herauszuholen sein.
«Wir bleiben über Ihre Bewährungshelferin miteinander in Kontakt», informierte sie Aidan.
Der Junge nickte.
«Und Sie werden uns natürlich rechtzeitig Bescheid geben, wenn Sie vorhaben umzuziehen.»
«Und Sie werden mir natürlich Polizeischutz gewähren, sobald man mich zu Brei geschlagen hat», konterte er.
«Dann ja.»
Sie und Miller gingen zur Tür. Aidan folgte und schloss hinter ihnen ab.
«Komischer Kauz», sagte Miller, als sie auf ihr Auto zugingen.
«Er hat was in seinem Schrank versteckt. Einen Computer, eine Geldkassette, irgendwas.»
«So viele Durchsuchungsbeschlüsse und so wenig Handfestes?» Miller seufzte.
«Trotzdem.»
Am Wagen angekommen, warf D. D. einen Blick zurück. Die Bäume im hinteren Teil des langen schmalen Grundstücks schirmten das kleine Haus von der Nachbarschaft ab. «Augenblick», sagte sie. «Ich muss mir da noch was ansehen.»
Miller schaute ihr irritiert nach, als sie im Laufschritt zurückeilte und hinter dem Haus verschwand. D. D. brauchte nur ein oder zwei Minuten. Sie war schon als Mädchen eine Klasse für sich gewesen, wenn es darum ging, auf Bäume zu klettern, und die alte Eiche bot mit ihrem Geäst eine veritable Leiter. Sie stieg hinauf, schaute sich um und war wieder unten, ehe sie dabei ertappt werden konnte.
«Wir können», keuchte sie, zum Wagen zurückgekehrt.Sie öffnete die Tür und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen, als Miller den Motor startete. «Von dem Baum im Hinterhof hat man einen prima Blick auf das Schlafzimmer von Sandra und Jason.»
«Dieser verlogene Drecksack!», murmelte Miller.
«Ja, aber ist er auch der Drecksack, den wir suchen?»
«Ich scheiß drauf.»
Miller war kaum losgefahren, als sein Funkgerät sich meldete. Er nahm den Ruf entgegen, schaltete dann sofort das Alarmlicht ein und riss mit Vollgas das Steuer herum.
D. D. hielt sich am Armaturenbrett fest. «Was zum Teufel –»
«Das
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