Ohne jede Spur
sagen sollen. Vielleicht haben Sie etwas getan, das Sie nicht hätten tun sollen. Je früher Sie uns reinen Wein einschenken, destoschneller könnten wir die Sache hinter uns bringen. Denken Sie an Ihre Tochter. Diese Ungewissheit muss schrecklich für sie sein. Stellen Sie sich vor, wie es für sie ist, wenn sie morgens aufwacht und ihr die letzten Worte ihrer Mutter durch den Kopf gehen …»
Er sagte nichts.
D. D. rückte noch näher an ihn heran, so nahe, dass er die Seife riechen konnte, mit der sie sich am Morgen gewaschen hatte. Sie hatte blondes lockiges Haar, ähnliches wie Sandy. Wunderschöne Haare, hatte Ree gesagt und bestimmt dabei an ihre Mutter gedacht.
«Wo ist Ihre Frau?», flüsterte ihm D. D. ins Ohr. «Sagen Sie mir, wo Sandy ist, damit ich sie nach Hause zu Ree bringen kann.»
Er stand ihr so dicht gegenüber, dass seine Lippen fast ihre Wangen streiften und zu spüren war, wie ihr Puls in die Höhe ging. «Fragen Sie Ethan Hastings», flüsterte er.
D. D. wich zurück. «Sie beschuldigen einen dreizehnjährigen Jungen?», fragte sie ungläubig.
«Unterschätzen Sie die Jugend nicht», erwiderte er, ohne mit der Wimper zu zucken. «Wenn ich daran denke, was ich in diesem Alter getan habe …»
Ihre Miene war wie versteinert. «Jason», sagte sie in scharfem Ton, «für einen intelligenten Mann verhalten Sie sich ziemlich töricht.»
«Weil ich nicht zulasse, dass Sie mich festnehmen?»
«Nein, weil Sie zwei und zwei nicht zusammenzählen können. Ich will Ihnen auf die Sprünge helfen. Sie behaupten, Ihrer Frau nichts angetan zu haben –»
«Richtig.»
«Laut Aussage Ihrer Tochter war aber in der Nacht zum Donnerstag jemand im Haus, der mit Sandy Streit hatte.»
«Richtig.» Seine Stimme klang nun ein wenig rauer.
«Ihre Tochter weiß etwas, Jason. Mehr, als sie zugeben kann. Marianne Jackson ist davon überzeugt, und das bin ich auch. Hören Sie mir gut zu, Jason. Wenn Sie Ihre Tochter weiter zappeln lassen, werde ich Ihnen bis in die Hölle nachstellen und zurück.»
Er war so schockiert, dass ihm die Worte fehlten. «Soll das heißen … Wollen Sie mir sagen …»
«Wir behalten Sie im Auge, jede Minute, jeder Stunde eines jeden Tages. Denken Sie an Ihr Kind.»
Jetzt verstand er. Sie drohte ihm nicht, sondern versuchte, ihn zu warnen. Ree war die einzige Zeugin dessen, was sich zugetragen hatte, und wusste etwas, das sie nicht aussprechen mochte oder konnte. Ree hielt den Schlüssel für das Rätsel in der Hand.
Mit anderen Worten: Sandys Kidnapper musste ein verdammt heißes Interesse daran haben …
Jason konnte den Gedanken nicht zu Ende bringen. Seine Brust war wie zugeschnürt. Vor Angst oder Wut? Er wusste es nicht. Vielleicht waren für einen Mann wie ihn solche Gefühle ein und dasselbe.
«Niemand wird meinem Kind etwas antun», hörte er sich sagen. «Ich werde meine Tochter beschützen.»
D. D. schaute ihm in die Augen. «Wirklich? Hat Ihre Frau ebenso viel Schutz genossen?»
Als Jason weg war, kehrte D. D. ins Büro des Rektors zurück, wo sie und Miller den Jungen noch einmal ins Kreuzverhör nahmen: Ethan Hastings belastete Jason Jones, konnte aber nicht erklären, warum Sandra Jones ihren Mann als gefährlich bezeichnet hatte. Der Junge betete seine Heldin an und sah in Jason Jones den Drachen, der sie gefangen hielt.
Seine Eltern waren verzweifelt. Der Vater nahm D. D. sogar zur Seite und teilte ihr mit, dass der Bruder seiner Frau, Ethans Onkel, im Dienst der Landespolizei stehe und Verbindungen hätte.
Sie brachte es nicht übers Herz, ihm zu erklären, dass dem Jungen damit nicht geholfen sei.
Miller machte sich Notizen fürs Protokoll. D. D. konfiszierte das Handy des Jungen für den Fall, dass SMS darin gespeichert waren, die er an Sandra oder Sandra an ihn geschickt hatte. Danach suchten beide Elizabeth Reyes alias Mrs Lizbet auf, die ihnen eine weniger voreingenommene Einschätzung der Dinge geben konnte.
Als sie gegen fünf die Schule verließen, hatte D. D. Lust auf eine Lasagne.
«Sie sind ganz schön verfressen», meinte Miller.
«An guten Tagen, ja», pflichtete sie ihm bei.
«Sandra Jones ist immer noch nicht gefunden, und wir haben es mit einem dritten Verdächtigen zu tun, einem dreizehnjährigen Romeo.»
«Ich glaube kaum, dass Sandra Jones eine Affäre mit ihm hatte. Trotzdem bin ich gespannt, was wir so alles auf seinem Handy finden.»
Miller warf ihr einen schiefen Blick zu.
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