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Ohne jede Spur

Ohne jede Spur

Titel: Ohne jede Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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allein war, spürte, wie die Schatten länger wurden.
    In unserer Ehe gab es keinen Sex. Na und? Welche Ehe
ist perfekt? Wir waren erwachsen und hatten akzeptiert, dass es für die Blütenträume der Jugend keine Garantie auf Verwirklichung gab. Dass man Abstriche machen und für die Familie Opfer bringen musste.
    Man tut, was von einem verlangt wird, auch wenn es nicht das Optimale ist, und ich war dankbar für jede Nacht, in der ich schlafen konnte – ohne den Gestank faulender Rosen in der Nase.
    Der Gedanke an Jason erinnerte mich daran, dass Ree und ich noch eine Geburtstagstorte backen mussten, was wir uns für den Vormittag vorgenommen hatten. Ich hätte jetzt, da er noch in der Redaktion war, Zeit gehabt, den iPod hübsch zu verpacken. Doch dann blickte ich auf den Computer und sah den Haken in unserem Plan.
    Jason setzte sich jede Nacht vor den Rechner. Wenn er also heute von der Arbeit zurückkehrte, würde ihm das neue iTunes-Icon auf dem Desktop auffallen.
    So viel zu unserer Überraschung.
    Ich schaltete den Computer wieder ein und dachte nach. Sollte ich das Programm löschen? Wir hatten all unsere Lieblingssongs auf den iPod überspielt. Die iTunes-Software wurde also vorerst nicht mehr gebraucht. Dann aber fiel mir ein, dass man die Verknüpfung vom Desktop einfach in den Papierkorb verschieben konnte, wo sie blieb, bis man den Befehl gab, den Papierkorb zu leeren. Drag-and-Drop. Voilà.
    Um auf Nummer sicher zu gehen, wollte ich den Vorgang mit einem meiner alten Schuldokumente ausprobieren. Ich fand den Dateinamen, markierte ihn und verschob die Datei in den Papierkorb. Dann klickte ich
zweimal auf das Bildchen für Papierkorb, um zu sehen, ob es funktioniert hatte.
    Der Papierkorb öffnete sich, und tatsächlich, da war meine Word-Datei. Zusammen mit einer anderen mit dem Namen
Pic 1
. Ich zog die Datei auf den Desktop und klickte sie auf.
    Ein körniges Schwarzweißfoto füllte den Schirm.
    Und ich stopfte meine Faust in den Mund, damit meine schlafende Tochter nicht von meinem Schrei geweckt wurde.
     
    Sandras Schule lag etwas über sieben Kilometer vom Haus der Jones’ entfernt. Rund acht Minuten Fahrzeit. Die Strecke verlief günstig. Wenn Ree in der Vorschule abgesetzt oder abgeholt werden musste, brauchten weder Sandra noch Jason einen Umweg zu fahren.
    Jason hatte beide Hände am Steuer und fürchtete, dass acht Minuten nicht ausreichten. In dieser kurzen Zeit würde er sich nicht wieder gefasst, geschweige denn die Sache mit Ethan Hastings verstanden haben. Er würde es so bald nicht schaffen, sich von D.   D.   Warrens düsterer Warnung zu erholen. Und wie sollte er sich auf das, was zu erwarten war, einstellen können – in nur acht Minuten?
    Ree war Zeugin der Geschehnisse in der Nacht auf Donnerstag. Das wussten nicht nur die Polizei und er, sondern wahrscheinlich auch eine andere Person, und zwar diejenige, die seiner Frau Schaden zugefügt hatte und womöglich zurückkehren würde, um auch Ree Schaden zuzufügen.
    «Ich bin müde, Daddy», maulte Ree und rieb sich die Augen. «Ich will nach Hause.»
    Selbst Mr   Smith war unruhig geworden. Er hatte sich von seinem Schlafplatz erhoben und starrte Jason erwartungsvoll an. Wahrscheinlich knurrte ihm der Magen; möglich auch, dass er mal musste.
    «Fahren wir nach Hause, Daddy? Ich will nach Hause.»
    «Ich weiß, ich weiß.»
    Doch er hatte etwas anderes im Sinn. Er wollte mit Ree in ein Restaurant fahren und dort zu Mittag essen, ein billiges Motel finden, um die Nacht dort zu verbringen. Oder aber den Tank füllen und nach Kanada durchstarten. Das täte er am liebsten, doch heutzutage, im Zeitalter der Alarmstufe Gelb, konnte man nicht einfach aufs Geratewohl die Flucht ergreifen, schon gar nicht mit einem vierjährigen Mädchen und einer gelbroten Katze. Kanada?, dachte er düster. Er würde sich gratulieren können, wenn er es überhaupt bis zur Grenze von Massachusetts schaffte.
    Ree wollte nach Hause. Dort waren sie wahrscheinlich am besten geschützt, hinter Stahltüren und einbruchsicheren Fenstern. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Bislang hatte er so wenig von der Welt seiner Frau gewusst, dass ihm die Gefahr, in der sie schwebte, nicht präsent gewesen war. Ab sofort wollte er besser aufpassen. Niemand würde seiner Tochter ein Haar krümmen.
    Zumindest redete er sich das ein.
    Nach Hause zurückzukehren bedeutete natürlich auch, eine leere Wohnung vorzufinden und auf Sandys herzlichenEmpfang verzichten zu müssen.

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