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Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Titel: Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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sie, um sicher zu sein, dass ich sie richtig verstanden hatte:
    »Du bist mitten in der Nacht mit dem Boot losgefahren?«
    Am nächsten Tag hätte es in Strömen regnen können, vielleicht wären Beweise weggespült worden – es musste in derselben Nacht sein, und ich musste es tun, ohne dass Chris und Håkan etwas davon mitbekamen.
    Der Motor brauchte eine gute Stunde zum Laden. Ich saß in der Scheune und beobachtete, wie die Zahl langsam stieg. Als die Anzeige bei hundert Prozent stand, schaffte ich den Motor zum Fluss. Ich musste die Schubkarre nehmen und versuchte, sie ganz leise über die Felder zu schieben, die ganze Zeit hatte ich Angst, sie würde umkippen. Wäre Chris aufgewacht, hätte ich keine Erklärung gehabt. Zum Glück erreichte ich den Steg, ohne entdeckt zu werden. Der Motor ließ sich leicht anbringen. Darauf hatte Cecilia bestimmt auch geachtet, als sie ihn aussuchte. Ich sah auf die Uhr und schätzte, Chris würde nicht vor acht Uhr aufwachen. Wenn ich auf Nummer sicher gehen wollte, blieben mir fünf Stunden, um den Fluss zu erkunden und zurückzukommen.
    Mit halber Motorgeschwindigkeit fuhr ich los. Sie waren nicht flussabwärts gefahren, das wusste ich. Weiter unten war der Fluss angestaut, um ein uriges Wasserkraftwerk anzutreiben, das wie eine alte Wassermühle aussah. Da kam kein Boot vorbei. Sie konnten den Fluss nur hinaufgefahren sein. Die Frage war nur, wie weit. Ich befestigte meine billige Plastiktaschenlampe so am Bug, dass sie aufs Wasser zeigte. In dem Licht tummelten sich Insektenschwärme, und ich hatte schreckliche Angst, jemand könnte mich sehen, aber ich behielt die Nerven in diesem kleinen Boot mitten auf dem dunklen Fluss; während die ganze Welt schlief, war ich als Einzige wach und suchte nach der Wahrheit.
    Der Fluss schlängelte sich sanft zwischen Feldern entlang, die zu verschiedenen Höfen gehörten, alle bewirtschaftet und gleich öde. Ich fand keine Stelle, an der Chris hätte anlegen können oder einen Grund dafür gehabt hätte, deshalb fuhr ich weiter flussaufwärts bis zum Waldrand. Es war, als würde man die Grenze zu einem anderen Reich überqueren. Alles klang anders. Es fühlte sich anders an. Von hier an war der Fluss ganz eingeschlossen. Der Monitor führte mich weiter – sie waren tiefer in den Wald hineingefahren. Nach den stillen Feldern wimmelte es im Wald vor Leben, meine Ankunft schreckte alles auf. Büsche raschelten. Tiere beobachteten mich.
    Als schließlich nur noch vierzig Prozent Batterieleistung übrig waren, schaltete ich den Motor aus und ließ das Boot treiben. Ihr Ziel musste in der Nähe sein, denn wäre ich weitergefahren, hätte die Batterie nicht mehr für die Rückfahrt gereicht. Ich hatte nicht schon bei fünfzig Prozent gehalten, weil die Rückfahrt deutlich weniger Energie verbrauchen würde, ich würde ja mit dem Strom fahren. Ich nahm die Taschenlampe und sah mich um, während das Boot sanft unter mir schwankte. Im Licht blitzten funkelnde Augen auf, die sofort verschwanden. Die Nachtluft war klar, es war kein bisschen neblig oder diesig. Als ich in den Himmel blickte und die zahllosen Sterne sah, dachte ich, genauso viele Antworten sind möglich. Chris und Håkan konnten das Boot an irgendeinen Baum gebunden haben und durch den Wald zu ihrem Ziel gelaufen sein. Ich hatte keine Möglichkeit, das herauszufinden. Tief enttäuscht setzte ich mich und gestand mir ein, dass ich ohne Antwort zurückfahren musste.
    Als ich die Taschenlampe wieder am Bug festmachen wollte, bemerkte ich direkt vor mir einen Ast, der sich mir auf dem Fluss entgegenstreckte. Neugierig spähte ich in die Dunkelheit und erkannte einen Baum, der auf einer Insel wuchs – einer Insel, die wie eine Träne geformt war. Ich fuhr weiter, packte den Ast und machte das Boot an der Spitze der Träneninsel fest. Am Baumstamm waren Spuren zu sehen, Abriebe von Seilen anderer Boote, die hier angelegt hatten, zu viele, um sie zu zählen, ein ganzer Teil des Stamms war von den vielen Besuchen glattgeschmirgelt worden. Am matschigen Ufer waren direkt über der Wasserlinie Fußabdrücke, manche alt, manche neu – es waren so viele und so verschiedene, dass viel mehr Leute als nur Chris und Håkan diese Insel betreten haben mussten. Mir wurde schlagartig klar, dass es zwar mitten in der Nacht war, aber vielleicht war ich nicht allein. Ich überlegte, das Boot loszumachen und mich mit sicherem Abstand umzusehen, mit einem breiten Streifen Wasser zwischen mir und der

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