Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
vorhatte, Cecilia zu besuchen und sie persönlich nach der Träneninsel zu fragen, nicht am Telefon, weil ich Angst hatte, Chris könnte mich hören. Ich wollte ihr meine Fragen direkt stellen – warum hatte sie mir das Boot dagelassen, was vermutete sie, was hatte sie mir nicht gesagt?
Cecilia war in ein Pflegeheim in Göteborg gezogen, einer Stadt, mit der ich viele schwere Erinnerungen verbinde. Als Mädchen habe ich ein paar Monate dort gelebt, um genug Geld für eine Fährfahrt nach Deutschland zusammenzukratzen. In dieser Zeit habe ich in einem Hotelcafé in der Kungsportsavenyn gekellnert, auf der großen Flaniermeile. Ich stellte mir vor, die Polizei würde nach mir suchen und mich beschuldigen, ich hätte Freja getötet. Ich lebte wie auf der Flucht. Ich schnitt mir die Haare kurz, trug andere Kleidung und erfand einen falschen Namen. Ich weiß noch, wie ich einmal einem Gast auf der Terrasse Kaffee servierte und ein Paar Polizisten auf Streife sah. Mein Arm zitterte so sehr, dass ich den Kaffee auf den Gast schüttete und vom Geschäftsführer einen Rüffel bekam. Meine einzige Rettung war, dass die Männer gern mit mir flirteten und großzügig Trinkgeld gaben, das der Geschäftsführer dann in die eigene Tasche steckte.
Als ich an diesem Morgen in die Stadt kam, beschloss ich, zu Fuß zu dem Pflegeheim zu gehen. Damit sparte ich Geld, die Sonne war auf meiner Seite, und ich wollte an dem Café in der Kungsportsavenyn vorbeigehen, weil ich keine verängstigte junge Frau mehr war. Das Heim lag am Stadtrand, hinter der Brücke, weit vom Zentrum entfernt. Auf dem ganzen Weg war ich gespannt, was Cecilia sagen würde. Das Haus sah einladend aus. Es hatte einen gepflegten Garten und einen Zierteich mit Bänken darum, auf denen Leute saßen und sich unterhielten. Der Eingangsbereich war sauber und die Frau am Empfang freundlich. Ich stellte mich vor und fragte, ob Cecilia oft Besuch bekomme. Die Frau vertraute mir an, dass niemand kam, in ihrer ganzen Zeit im Heim hatte Cecilia nicht einen einzigen Besucher gehabt. Das machte mich wütend. Unsere Nachbarn hatten uns etwas von Zusammengehörigkeit und Gemeinschaftssinn erzählt. Wie konnte es sein, dass niemand diese Frau besucht hatte? Was für ein grausames Exil. Håkan bestrafte sie dafür, dass sie ihm den Hof nicht verkauft hatte. Er hatte bestimmt, dass ihr niemand auch nur die kleinste Freundlichkeit erwies.
Cecilia saß in ihrem Zimmer, drückte die Knie gegen die Heizung und sah in den Garten. Sie las nicht. Sie sah nicht fern. Sie saß einfach nur da. Vielleicht schon seit Stunden. Es hat etwas Trauriges, wenn ein Mensch im Haus sitzt und in den sonnigen Garten sieht. Das Zimmer selbst war unpersönlich. In zwei Stunden hätte man es für jemand anderen herrichten können. Das war kein Heim. Es war ein Ort für die Durchreise – ein Wartezimmer zwischen Leben und Tod. Hier konnten wir nicht reden. Ich musste sie an die Welt da draußen erinnern. Wir würden uns im Garten unterhalten. Als ich mich neben sie hockte, war ich erschrocken, wie sehr sich ihr Körper verändert hatte. Bei unserem Treffen auf dem Hof hatte sie zwar gebrechlich gewirkt, aber innerlich noch stark. Sie hatte einen wachen Blick und einen scharfen Verstand gehabt. Als sie mich jetzt ansah, waren ihre Augen so wässrig, als wäre ihre Seele mit tausend Teilen Nichts verdünnt. Doch zu meiner Erleichterung erkannte sie mich und war auch bereit, sich mit mir an den Teich zu setzen.
Ein Gericht würde vielleicht an Cecilias Glaubwürdigkeit zweifeln. Ihre geistige Verfassung war nicht immer die beste, das muss ich zugeben – manchmal war sie voll ansprechbar, aber in manchen Momenten war sie in Gedanken woanders, und ich musste mit meinen Fragen geduldig sein. Über Umwege und Annäherungen lenkte ich sie allmählich zu dem Geheimnis, warum sie mir den Hof verkauft hatte. Von selbst fragte sie, ob ich die Wahrheit über Anne-Marie herausgefunden hätte, die Frau des Einsiedlers. Das Thema hatte ich gar nicht erwähnt! Ich fasste zusammen, was ich wusste – sie war religiös gewesen, hatte Bibelzitate gestickt, sie war gestorben, und ihr Mann schien am Boden zerstört zu sein. Cecilia war richtig verärgert, wie wenig ich wusste, als hätte ich sie enttäuscht. Sie sagte: »Anne-Marie hat sich das Leben genommen.«
In einer geistig klaren Phase erzählte Cecilia mir die Geschichte. Anne-Marie war neunundvierzig Jahre alt gewesen und nie wegen Depressionen behandelt worden. Sie
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