Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
ich sehr erleichtert, dass weder er noch seine Frau zu sehen waren. Ich dachte schon, ich hätte es geschafft, da setzte der Motor aus. Die Batterie war leer. Ich trieb mitten auf dem Fluss.
Bevor du einwendest, Chris und Håkan könnten die Träneninsel nicht erreicht haben, wenn bei mir der Motor ausging, musst du einberechnen, wie umständlich mein Hinweg war. Ich habe das Boot oft von einem Ufer zum anderen gesteuert, um zu sehen, ob sie irgendwo ausgestiegen sein konnten. Als ich später noch einmal zur Träneninsel gefahren bin, habe ich beide Wege mit einer einzigen Batterieladung geschafft. An diesem Morgen musste ich das letzte Stück jedenfalls rudern, weil Chris bald aufwachen würde. Ich war seit vielen Jahren nicht mehr gerudert. Je schneller ich es versuchte, desto langsamer kam ich voran. Als ich den Steg erreichte, schmerzten meine Arme. Am liebsten hätte ich mich fallen lassen und verschnauft, aber ich hatte keine Zeit. Es war schon kurz vor acht. Ich nahm den Motor ab und wuchtete ihn aus dem Wasser. Als ich die Schubkarre den Hang zum Hof hinaufschob, erschrak ich. Chris war schon wach! Er stand draußen und rauchte. Er sah mich. Er winkte. Ich stand wie vom Donner gerührt da, dann winkte ich zurück und rang mir ein Lächeln ab. Der Motor lag in der Schubkarre. Ich warf meinen Mantel darüber, aber vielleicht hatte Chris ihn schon gesehen. Ich brauchte eine Ausrede. Die Schubkarre hätte ich ja auch für etwas anderes benutzen können, also ging ich weiter. Doch als ich nach unten sah, merkte ich, dass der Motor unter meinem Mantel hervorragte. Man hätte ihn sofort bemerkt, selbst bei einem kurzen Blick, deshalb lief ich über das Feld und stellte die Schubkarre hinter der Scheune ab.
Als ich zu Chris kam, gab ich ihm einen Kuss – ich zwang mich dazu – und sagte Guten Morgen. Ich machte ein paar Handgriffe am Gemüsebeet und erfand eine Geschichte, ich hätte unten am Fluss gearbeitet und das Schilf geschnitten. Er rauchte seine Zigarette fast wortlos zu Ende und ging ins Haus, um zu frühstücken. Ich nutzte die Gelegenheit, holte die Schubkarre von hinten, stellte den Motor in die Scheune und stöpselte ihn ein. Als ich mich umdrehte, stand Chris in der Tür. Sein Frühstück hatte er stehen lassen. Ich wusste nicht, wie viel er gesehen hatte, und sagte, er hätte die Batterie nicht angeschlossen. Er antwortete nicht. Ich nahm Wäsche aus der Scheune mit, ging zum Haus und sah mich um. Chris stand in der Scheunentür und starrte auf den Motor.
M EINE ELTERN GINGEN ALS Paar auf eine Weise miteinander um, dass ich sie kaum wiedererkannte. Ihr ganzes Verhalten zueinander schien sich im Laufe des Sommers geändert zu haben. Ich fragte:
»Warum hat Dad dich nicht darauf angesprochen, wenn er dich erwischt hat? Warum hat er nicht gefragt, was du da machst? Ich verstehe dieses Schweigen nicht.«
»Was hätte er sagen sollen? Er hat mich in der Scheune neben dem Motor gefunden. Er wollte mich doch nicht noch mehr auf das Boot aufmerksam machen.«
Ich hatte nicht nur das gemeint:
»Es hört sich an, als würdet ihr gar nicht mehr miteinander reden.«
Als ich weiter nachhaken wollte, hob meine Mum die Hand, damit ich schwieg, und sagte:
»Fragst du nach unserer Beziehung?«
»Vierzig gemeinsame Jahre können doch nicht in ein paar Monaten in die Brüche gehen.«
»Das kann noch viel schneller gehen. Du sehnst dich nach Sicherheit, Daniel. Das hast du immer. Aber ich sage dir mal was. Es gibt keine Sicherheit. Eine großartige Freundschaft kann an einem Abend weggefegt werden, ein Geliebter kann sich durch ein Eingeständnis in einen Feind verwandeln.«
In gewisser Weise war das eine Warnung – das Gleiche würde mit uns geschehen, wenn ich ihr ihre Geschichte nicht glaubte. Sie sagte:
»Dein Vater und ich spielten uns gegenseitig etwas vor. Ich tat, als wüsste ich nichts von der Träneninsel. Er tat, als hätte er nicht gemerkt, wie weit meine Nachforschungen mittlerweile gingen.«
Meine Mum nahm ihr Tagebuch zur Hand und suchte nach einem bestimmten Eintrag:
»Ich gebe dir mal ein Beispiel.«
Ein Blick auf die Seiten zeigte mir, dass ihre Notizen deutlich umfangreicher geworden waren.
Am 10. Juni bin ich früh aufgestanden, habe das Frühstück ausfallen lassen und bin mit dem Fahrrad zum Bahnhof gefahren, um den ersten Zug nach Göteborg zu nehmen. Von meiner Fahrt hatte ich Chris nichts erzählt. Normalerweise besprachen wir alles, aber das musste ich geheim halten, weil ich
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