Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
verkraften.«
Er wäre nie hergekommen, nur um dabei zu sein oder weil er sich ausgeschlossen fühlte. Er war zur Sicherheit hergekommen, um eine mögliche Katastrophe zu verhindern, er wollte sich überzeugen, dass die Lage nicht aus dem Ruder gelaufen war. Er und meine Mum wären sich einig gewesen, dass ich nicht gerade krisenerprobt war. Ich nickte:
»Es war richtig, dass du hergekommen bist. Aber ich schaffe das schon.«
Mark war noch nicht überzeugt:
»Was willst du machen?«
»Ich werde mir alles anhören und dann entscheiden, ob sie einen Arzt braucht. Oder ob wir mit der Polizei reden müssen.«
»Der Polizei?«
»Es ist wirklich schwer zu sagen.«
Ich fügte hinzu:
»Mein Dad fliegt her. Er hat es sich anders überlegt. Sein Flugzeug landet bald.«
»Kommt er auch hierher?«
»Ja.«
»Das könnte schwierig werden.«
»Wird es bestimmt.«
»Bist du sicher, dass ich gehen soll?«
»Wenn du hier bist, wird sie nicht reden. Nicht so offen wie bis jetzt.«
Mark überlegte:
»Na gut. Ich gehe. Aber ich sage dir, was ich mache. Ich setze mich in das Café um die Ecke. Ich kann lesen, ein bisschen arbeiten. Ich kann in zwei Minuten hier sein. Ruf mich an, wenn sich etwas ändert.«
Mark öffnete die Tür.
»Du musst das hinbekommen.«
Ich hatte erwartet, dass meine Mum lauschen würde, doch der Flur war leer. Als ich nach oben kam, stand sie am Fenster, und ich ging zu ihr. Sie nahm meine Hand und sagte seinen Namen, als würde sie diesen Laut zum ersten Mal aussprechen.
»Mark.«
Und dann, als wäre ihr der Gedanke gerade gekommen:
»Jetzt rede du doch erst mal.«
Ich war mir meiner Gefühle nicht sicher und drückte ihre Hand. Sie verstand, denn sie antwortete:
»Ich erinnere mich noch an unsere Ferien an der Südküste. Du warst noch klein. Sechs Jahre alt. Es war heiß. Der Himmel war blau. Wir sind nach Littlehampton zum Strand gefahren und waren uns sicher, dass vor uns ein perfekter Tag lag. Als wir ankamen, wehte ein scharfer Wind vom Meer. Statt aufzugeben, verschanzten wir uns hinter einer Düne, in einer geschützten Mulde hinten am Strand. Solange wir ganz flach dalagen, spürten wir den Wind nicht. Die Sonne über uns war warm, und der Sand unter uns auch. Wir lagen lange da und dösten in der Sonne. Irgendwann sagte ich: ›Wir können nicht ewig hierbleiben‹, und du hast mich angesehen und gefragt: ›Warum nicht?‹«
Ich sagte:
»Mum, über mein Leben können wir irgendwann anders reden.«
So traurig wie jetzt hatte meine Mum den ganzen Tag nicht geklungen:
»Nicht irgendwann, heute. Wenn ich fertig bin und wir bei der Polizei waren, will ich, dass du redest. Ich will zuhören. Früher haben wir uns alles erzählt.«
»Das werden wir wieder tun.«
Meine Mum fragte mich:
»Bist du bereit für den Rest?«
»Ich bin bereit.«
Wir machen alle Fehler. Manche können wir verzeihen. Andere nicht. Diesen Sommer habe ich einen unverzeihlichen Irrtum begangen. Einen kurzen Augenblick lang habe ich daran gezweifelt, dass Mia Gefahr drohte.
Einmal die Woche fuhr ich mit dem Rad zum Strand – nicht zum Touristenstrand, zu einem weiter nördlich. Er war recht rau, mit Dünen und Farnkrautbüscheln vor einem tiefen Wald, kein Ferienstrand. Touristen tauchten dort nie auf. Ich ging dort immer joggen. An einem Abend war ich etwa eine halbe Stunde gelaufen und wollte gerade umdrehen, als sich vor mir im Wald etwas bewegte. Es war strahlend weiß, wie das Segel eines kleinen Schiffs, das zwischen den Kieferstämmen hindurchfuhr. Normalerweise waren dieser Strand und der Wald leer. Jetzt tauchte Mia zwischen den Bäumen auf, sie betrat den Strand gekleidet wie eine Braut mit Blumen im Haar und Blumen in den Händen. Sie trug ein Midsommarkleid, als wollte sie gleich um den Maibaum tanzen. Ich versteckte mich hinter einem Farngebüsch, um zu sehen, was sie als Nächstes tun würde. Sie lief über den Strand bis zu einem verlassenen Leuchtturm. Sie hängte die Blumen an die Tür und ging hinein.
Es kam mir vor, als hätte ich einen Geist gesehen, nur war das Mädchen echt und die Fußabdrücke deutlich im Sand zu sehen. Mia wartete auf jemanden. Die Blumen sollten zeigen, dass sie im Leuchtturm war, die strahlend weißen Blüten konnte ich sogar von meinem Versteck aus sehen. Ich wollte unbedingt herausfinden, wer sich mit Mia im Leuchtturm treffen würde. Aber es kam niemand. Je länger ich wartete, desto ratloser wurde ich, und ich überlegte schon, ob derjenige mich gesehen
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