Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
glaube, und mich klipp und klar gegen ihn gestellt. Im Nachhinein ist mir klar, was für ein Fehler das war. Von diesem Augenblick an war ich in Gefahr.
M EINE MUM GRIFF WIEDER nach ihrer Umhängetasche und nahm ein Poster heraus. Sie breitete es auf dem Sofatisch aus und setzte sich wieder neben mich.
Das hier hat Håkan nicht an seinem Computer gemacht. Er hat eine richtige Druckerei beauftragt und das beste Papier genommen. Sogar das Layout ist elegant, es sieht aus wie eine Beilage in der Vanity Fair oder der Vogue – das teuerste Suchplakat der Welt. Es hing überall. An einem Tag habe ich gezielt nach den Plakaten Ausschau gehalten und über dreißig gezählt, an Baumstämmen, Anschlagbrettern am Strand, in der Kirche und den Schaufenstern entlang der Promenade. Die Platzierung machte mir Sorgen, weil Mia an keinem dieser Orte sein würde. Wäre sie weggelaufen, wäre sie in einer größeren Stadt gewesen. Wäre sie weggelaufen, dann weit, weit weg, nicht hierher, keine zwei Kilometer von zu Hause entfernt. Und sie hätte keiner Seele davon erzählt, weil Håkan es im nächsten Moment erfahren hätte, also waren diese Poster nicht mehr als ein großes Tamtam, dass Håkan das Richtige getan hatte, dass er die Rolle spielte, die man von ihm erwartete.
Sieh mal hier unten auf dem Plakat …
Eine hohe Belohnung für nützliche Hinweise, und das ist kein Druckfehler: hunderttausend schwedische Kronen, zehntausend Pfund! Genauso gut hätte er eine Million Dollar aussetzen können oder eine Truhe mit Piratengold; er wusste, dass er auf diesem Weg keine neuen Hinweise bekommen würde. Es war nur lautes Getöne:
»Seht her, wie viel ich zahlen würde! Ich habe meine Liebe zu Mia mit einer Summe beziffert, und diese Summe ist die höchste, die ihr je auf einem Suchplakat gelesen habt!«
Du glaubst, dieses Plakat wäre ein Zeichen für seine Unschuld, das sehe ich dir an, und genau so war es beabsichtigt.
I CH SCHÜTTELTE DEN KOPF darüber, dass meine Mum immer annahm, sie wüsste, was ich dachte.
»Ich glaube nicht, dass die Poster seine Unschuld beweisen. Sie beweisen gar nichts. Man könnte sie so oder so deuten. Hätte er kein Geld ausgegeben und keine Poster aufgehängt oder nur ein einziges schäbiges, könntest du ihm vorwerfen, er wäre kaltschnäuzig. Oder so von Schuldgefühlen zerfressen …«
»Aber ich kann nicht bewerten, was er nicht getan hat.«
»Ich will ja nur sagen …«
Du willst es nicht als Beweis gelten lassen. Schön. Lassen wir es nicht gelten. Wir brauchen es nicht. Du sollst seine Unschuld nicht bezweifeln, weil ich es sage. Auch nicht wegen dieser Plakate. Sondern weil Håkans Geschichte über die Nacht, in der Mia verschwunden ist, keinen Sinn ergibt. Angeblich ist sie am ersten Juli vom Hof weggelaufen. Wie soll dieses sechzehnjährige Mädchen das angestellt haben? Mia besitzt kein Auto, es wurde kein Taxi gerufen, wie soll sie mitten in der Nacht einen so abgelegenen Hof verlassen haben? Sie war nicht am nächsten Morgen am Bahnhof. Ihr Fahrrad stand noch auf dem Hof. Sie ist nicht zu Fuß gegangen – sie wäre nirgendwo hingekommen, die Entfernungen sind zu groß. Ich bin selbst von einem abgelegenen Hof weggelaufen. Und ich kann dir aus Erfahrung sagen, dass du einen Plan brauchst. Laut Håkan gab es einen Zeitraum von zehn Stunden, in dem sie verschwunden sein konnte, aber in diesen zehn Stunden war alles dicht. Ringsum gab es kilometerweit nur Dunkelheit, schlafende Menschen, geschlossene Läden und keine öffentlichen Verkehrsmittel. Mia ist einfach verschwunden. Das sollten wir glauben.
Ich war es ihr schuldig, mich an die Polizei zu wenden, also ich ging hin, allerdings ohne vorher mit Chris darüber zu reden. Erst wollte ich sehen, wie ernst sie die Sache nehmen würden. Ich fuhr mit dem Fahrrad durch die Stadtmitte. In den Geschäften war viel Betrieb. Die Promenade war gut besucht. In dem Café, in dem ich ein paar Wochen vorher mit Mia Kuchen gegessen hatte, saßen jetzt andere Leute und lachten. Warum trauerte niemand um dieses verlorene Mädchen? Diese Sucht nach Bequemlichkeit ist eines der großen Übel unserer Zeit. Håkan wusste das nur zu gut, er wusste, dass es niemanden kümmern würde, solange es keine Leiche und keinen Beweis für ein Verbrechen gab. Alle wollten viel lieber glauben, dass Mia weggelaufen war, als auch nur darüber nachzudenken, jemand könnte sie ermordet haben.
Im Polizeirevier der Stadt war es leiser als in einer Bibliothek. Und
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