Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
Erde vergraben war und nichts als leere alte Papiere mit Wasserschaden enthielt. Warum stand diese wertlose alte Kassette so im Mittelpunkt? Doktor Norling fiel auf, dass ich sie anstarrte. Er hob die Kassette auf und streckte sie mir entgegen, als wäre sie ein Geschenk. Mit sanfter Stimme befahl er:
»Öffnen Sie die Kassette für uns, Tilde.«
Ich konnte es nicht leiden, wie er meinen Namen sagte.
»Öffnen Sie sie, Tilde.«
Also öffnete ich sie.
Z UM ZWEITEN MAL ZOG meine Mum die rostige Stahlkassette aus der Umhängetasche. Sie stellte sie mir auf den Schoß.
Norling fragte mich, warum ich dachte, die Kassette könnte wichtig sein. Ich hatte keine Ahnung. Und das sagte ich auch. Es ergab alles keinen Sinn. Norling glaubte mir nicht, er fragte mich, ob ich mir sicher sei. Was für eine Frage! Natürlich war ich mir sicher. Man kann immer sicher sein, dass man etwas nicht weiß. Man ist höchstens nicht sicher, ob man etwas weiß. Ich wusste jedenfalls nicht, warum diese Männer plötzlich so todernst vor einem Stapel Papiere mit Wasserschaden standen, vor Blättern, die zerknittert und verfärbt und über hundert Jahre alt waren und völlig leer, als ich sie fand.
Öffne die Kassette mal.
Nimm die Papiere heraus.
Blättere bis zum Ende.
Siehst du?
Sie sind nicht mehr leer! Sie sind beschrieben, mit einer schönen, altmodischen Handschrift, in Schwedisch natürlich, traditionellem Schwedisch, in altmodischer Sprache. Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Konnte es sein, dass ich die Schrift auf den letzten Seiten übersehen hatte, weil ich gedacht hatte, alle seien leer? Es war so lang her, dass ich mich nicht erinnern konnte, ob ich damals jedes einzelne Blatt angesehen hatte. Norling bat mich, sie vorzulesen. Ich rief auf Englisch:
»Ihr wollt mich reinlegen!«
Ich wusste nicht, wie man das auf Schwedisch sagte. Norling kam vorsichtig näher und fragte mich, warum ich glaubte, sie wollten mich »reinlegen«. Er wiederholte den Ausdruck auf Englisch und übersetzte ihn für Stellan, den Kommissar, mit einem vielsagenden Blick, als hätte das seine Theorie bestätigt, dass mein Verstand von Paranoia zerfressen und mein Kopf randvoll mit Verschwörungstheorien war. Ich erklärte ihnen, dass die Seiten leer waren, als ich sie gefunden habe. Es hatte nichts darauf gestanden. Norling wiederholte seine Bitte, ich sollte laut vorlesen.
Ich lese es dir lieber vor, dein Schwedisch ist nicht mehr so gut wie früher. Es wird nur eine grobe Übersetzung. Die Sprache ist nicht modern. Noch etwas, bevor ich anfange: Niemand behauptet, diese Papiere seien echt, weder ich noch meine Feinde. Jemand hat sie erst vor Kurzem geschrieben, diesen Sommer. Sie sind eine Fälschung. Das ist unstrittig. Du musst dich jetzt fragen, wer sie gefälscht hat und warum.
I CH WARF EINEN KURZEN BLICK auf die Handschrift. Sie wirkte elegant und flüssig, und die ungewöhnliche braune Tinte schien aus einer Füllfeder zu stammen. Meine Mum bemerkte meinen Blick:
»Eigentlich wollte ich dich erst fragen, nachdem ich dir das Tagebuch vorgelesen habe. Aber wenn du schon weiter bist, frage ich dich jetzt.«
Sie reichte mir eines der Blätter:
»Ist das meine Handschrift?«
Bevor ich die Schrift mit der in ihrem Tagebuch verglich, schickte ich voraus:
»Ich bin aber kein Experte.«
Meine Mum winkte ab:
»Du bist mein Sohn. Könnte es einen besseren Experten geben? Wer kennt meine Schrift besser als du?«
Es waren zwei vollkommen unterschiedliche Stile. Ich wüsste nicht, dass meine Mutter mal einen Füller besessen hatte und schon gar nicht, dass sie so flüssig damit schreiben konnte. Sie bevorzugte Wegwerfkugelschreiber und hatte oft auf den Enden herumgekaut, während sie sich mit den Geschäftsbüchern abrackerte. Vor allem war diese Handschrift hier nicht absichtlich verzerrt oder plump verstellt. Sie wirkte wie ein in sich stimmiges Ganzes. In aller Ruhe suchte ich nach Ähnlichkeiten, und sei es bei einzelnen Buchstaben. Ich fand keine. Meine Mum wurde ungeduldig:
»Ist das meine Handschrift? Wenn du nämlich Nein sagst, musst du zugeben, dass es eine Verschwörung gegen mich gibt.«
»Mum, soweit ich es beurteilen kann, ist das nicht deine Handschrift.«
Meine Mum stand auf und ließ die Blätter auf dem Sofatisch liegen. Sie ging ins Bad. Ich folgte ihr:
»Mum?«
»Ich darf nicht weinen. Das habe ich versprochen, keine Tränen. Aber ich bin so erleichtert. Deshalb bin ich nach Hause gekommen, Daniel. Deshalb bin ich
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