Ohne Kuss ins Bett
Kissen zurück und hielt Jessica eng an sich gepresst. »Weil Alice wunderschön war.«
Andie betrachtete das unscheinbare kleine Mädchen, das vor ihr saß, das weißblonde Haar, die Haut, die so bleich war wie die Kissen. »Natürlich.«
»Wie hat sie ausgesehen?«
»Sie hatte wunderschönes blondes Haar«, antwortete Andie und wollte schon die Hand ausstrecken, um Alice eine Strähne aus dem Gesicht zu streichen, hielt aber gerade noch rechtzeitig inne. Es wäre der Kleinen nicht angenehm. »Und große blaue Augen.«
»Blaue?«, wiederholte Alice mit gerunzelten Brauen.
»Graublau wie ein stürmischer Himmel.«
»Und hatte sie Lippen so rot wie Blut und eine Haut so weiß wie Schnee?«
Andie betrachtete wieder Alice ’ blasses kleines Gesicht. »Sie hatte eine Haut so weiß wie Schnee, weil sie kein gesundes Frühstück essen wollte. Wenn sie hin und wieder gebratenen Speck und Eier gegessen hätte anstatt Müsli mit viel Zucker …«
»Prinzessinnen essen nicht Eier und Speck«, widersprach Alice und blickte wieder wild drein.
»Doch, das tun sie, wenn sie rosige Wangen haben möchten.«
»Aber diese Prinzessin will keine rosigen Wangen.«
»Na gut. Sie hatte also eine Haut so weiß wie Schnee.«
»Und sie trägt ein schönes blaues Kleid, das flattert, wenn sie geht«, fuhr Alice fort und stieß ihre Tagesdecke mit dem Fuß an, sodass der Chiffon flatterte. »Wie Flügel oder Spinnweben oder Schmetterlinge.«
»Na klar«, stimmte Andie zu, die das Gefühl hatte, dass ihr die Geschichte aus der Hand glitt.
»Und sie ist sehr stark«, meinte Alice, »und niemand kann sie zu etwas zwingen, nicht mal ihr böser Onkel, der sie entführen will.«
»Ach du Sch… Schande«, entfuhr es Andie, und sie wich skeptisch ein wenig zurück.
»Ja, das tut er«, bekräftigte Alice. »Er ist groß und hat weißes Haar, und er blickt finster drein und sagt: ›Du musst fort! ‹ , aber Alice schiebt ihn einfach durch die Tür hinaus« – Alice schob ihre Hände abwehrend nach vorn –, »und da muss er sie in dem Schloss lassen.«
»Ach, der Onkel hat Alice besucht?«, fragte Andie verwundert, und dann fiel ihr ein, dass North erwähnt hatte, dass er kurz nach dem Tod seines Cousins nach den Kindern gesehen hatte.
Alice nickte. »Und Nanny Joy hat gesagt, dass der böse Onkel wollte, dass sie alle fortgehen.«
»Ach, Nanny Joy, ja?« Dumme Ziege von Kindermädchen . Obwohl es durchaus möglich war, dass North wirklich so etwas gesagt hatte. Er hätte es gar nicht mitbekommen, wie sehr das die beiden Kinder verstörte, da er sich nicht näher mit ihnen beschäftigt hatte.
»Nanny Joy war eine böse Fee«, erklärte Alice, die sich zusehends für die Geschichte erwärmte. »Sie war nicht wie die andere Prinzessin.«
»Ach, es gab noch eine andere Prinzessin?«
»Ja. Eine blaue Prinzessin. Und die hat immer getanzt. So.« Alice schob die Jessica-Puppe beiseite, schlüpfte aus dem Bett, bevor Andie sie daran hindern konnte, sprang mit ihren nackten Füßen auf den Boden und begann, in einer Art gleitendem Hoochie-Coochie Kabuki zu tanzen, wobei sie die Hüften schwenkte, mit den Händen durch die Luft fuhr und hin und wieder einen Moment lang wie beim Tai-Chi reglos verharrte. Dabei summte sie in sich selbst versunken vor sich hin und endete dann mit einem Wirbel, bei dem sie die Arme ausbreitete und sich graziös um sich selbst drehte. »Sie war eine sehr gute Tänzerin«, befand Alice, während sie wieder in ihr Bett schlüpfte. »Und wie ging es dann weiter?«
»Äh«, machte Andie und versuchte zu verstehen, wie der böse Onkel und die tanzende Prinzessin mit Alice im Schloss zusammenpassten. »Also. Alice lebte da in diesem Schloss mit ihrem Bruder und der Köchin und der, äh, tanzenden Prinzessin, und sie war dabei sehr glücklich, nur mit einem nicht.«
Alice verschränkte die Arme vor der Brust, aber es schien mehr aus Konzentration als aus Abwehr zu geschehen.
»Sie war sehr allein«, meinte Andie versuchsweise.
Alice runzelte die Stirn.
»Sie hatte ihren Bruder und die Köchin und die tanzende Prinzessin«, fuhr Andie hastig fort, »aber sie hätte gern jemand in ihrem Alter gehabt, um … zu tanzen.«
Alice ’ Stirnrunzeln verstärkte sich.
»Also beschloss sie, sich auf die Reise zu machen.«
»Was für eine Reise?«
»Eine Reise, um etwas zu finden. Zum Beispiel in die Schule gehen, um andere Kinder zu finden, mit denen man spielen kann. Sie ging auf die Suche nach einer
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