Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam
Himmel und Hölle.
Ich nahm das Handy aus meiner Tasche und warf einen Blick auf das Display, nicht zum ersten Mal an diesem Tag. Meine Angst war, dass es vielleicht geklingelt hatte und ich es nicht gehört haben könnte. Christoph, der mir sagte, er habe keine Ahnung, was gestern mit ihm los gewesen sei. Er sei ein Trottel und flehe mich an, sofort nach Hause zu kommen. Ich schämte mich wegen dieser Wunschgedanken. Schlimm genug, als Frau verlassen zu werden, aber dann auch noch diese Träume von Reue! Meistens sind es doch die Frauen, die die Männer verlassen und schnell ein neues Leben beginnen, während die Männer nach der Tren nung allein gar nicht zurechtkommen. Ich habe schon manche Frauen sagen hören, dass sie glücklich geschieden seien, während Männer sofort Ersatz suchten. Zum Beispiel Clemens, Christophs langjähriger guter Freund. Als seine Frau Barbara ihn verlassen hatte, saß er bei uns im Wohnzimmer und flennte. Ich machte mir Sorgen um ihn und hoffte, dass er nicht suizidgefährdet war. Mir war so warm ums Herz, und ich strich ihm über den Kopf, während ich dachte: Ach, wie sehr er sie doch geliebt haben muss . Dann kamen die zwei Sätze, nach denen er bei mir unten durch war: »Was soll ich denn ganz allein? Ich brauche so schnell wie möglich eine Freundin.« Mir wurde klar, dass es gar nicht Barbara war, der er nachweinte. Es ging vielmehr darum, dass er alleine nicht zurechtkam und jemanden brauchte, der seine Leere ausfüllte.
Wenn ich so darüber nachdachte, war Christoph gar nicht schockiert gewesen.
In meinem Kinderzimmer überlegte ich, ob ich Christoph anrufen sollte. Ich hatte den Drang, ihn auf irgendeine Weise zu verletzen, aus Wut, weil er mich nicht anrief, um zu fra gen, wie es mir ging. Dann siegte die Vernunft. Mir wurde bewusst, dass dabei nichts Gutes herauskommen konnte. Vielleicht würde ich sogar anfangen zu weinen, und er könnte es so verstehen, dass ich ihm hinterherheulte.
Dass mich die Trennung so mitnahm, machte mich schier verrückt.
Ich ließ mich erschöpft ins Bett fallen, ohne mich auszuziehen. Bilder von ihm tauchten auf, von früher.
Wir hatten uns auf dem Oktoberfest kennengelernt. Chris toph saß am Tisch hinter mir. Er war mit seinen Kumpels dort und ich mit meinen Freundinnen. Wir beide waren die einzigen unter ihnen, die noch nicht völlig besoffen waren. Er drehte sich um und lächelte mich an. Ich dachte, was für ein hübscher Kerl , und sah verlegen weg. Dann beugte er sich nach hinten, um mir ins Ohr zu rufen: »Bist du auch wegen der Musik hier?«
Ich nahm gerade einen Schluck aus dem riesigen Maßkrug. Über diesen Spruch musste ich so lachen, dass ich das Bier prustend wieder ausspuckte. Zum Glück nicht in seine Richtung. Er sah mich belustigt an, dann lachten wir beide. »Nein, eher wegen der kultivierten Atmosphäre«, gab ich zur Antwort. Ein paar Meter weiter begossen sich gerade grölende Oktoberfestbesucher gegenseitig mit Bier und tanzten auf den Bänken.
»Ach so«, meinte er. »Das kommt bei mir gleich an zweiter Stelle.«
Am nächsten Tag trafen wir uns wieder. Wir wollten uns eigentlich im Kino einen Film mit Michael Douglas ansehen. Aber dann blieben wir in der Kneipe hängen. Wir teilten uns eine Schachtel Zigaretten und zählten unser Geld, wie viele Getränke wir uns leisten konnten.
Christoph erzählte, dass er studierte. Er wollte Lehrer werden. Zuerst war ich etwas erschrocken. Nicht, dass ich mit Lehrern unbedingt traumatische Erfahrungen gemacht hätte, aber damals hielten wir sie noch alle für bürgerliche Spießer, die ausgewaschene Jeans trugen, um den Schülern zu suggerieren, dass sie auf ihrer Seite stünden. Aber schon bald glaubte ich, dass er ein guter Lehrer war.
Allerdings wurde Christoph mit der Zeit immer gereizter wegen seiner Arbeit, hatte genug von den ungezogenen Teenagern und wechselte aufs Abendgymnasium, wo Erwachsene ihren zweiten Bildungsweg durchliefen.
Als er mich nach unserer ersten Verabredung nach Hause begleitete, fanden wir heraus, dass wir die gleiche Musik liebten. Meine Favoriten waren Extrabreit, Bad Company, Rush und die Scorpions. Christoph sagte, die fände er auch super. Ich dachte, es müsse Schicksal sein, wenn sogar unser Musikgeschmack zusammenpasste. Ich war überzeugt davon, dass wir füreinander bestimmt waren. Wenn man auf dem besten Weg ist, sich zu verlieben, dann sieht man eben das, was man sehen will, und ist dankbar für jeden noch so trivialen Wink und
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