Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam
schließlich kein Dienstmädchen; ich muss das auf meine alten Tage alles selber machen.«
»Nebenbei: Was du meinst, ist Fitnessstudio und nicht Sportstudio.«
Sie schüttelte kaum merklich ihre weißen Locken und murmelte verkniffen: »Du bist manchmal so eine Klugscheißerin.«
Das Telefon klingelte. Meine Mutter stand auf und ging erhobenen Hauptes an mir vorbei. Sie meldete sich mit ihrem Namen, und dann sagte sie nichts mehr. Ich drehte mich verwundert um und sah zu ihr hinaus in den Flur. Sie hielt den Hörer fest an ihr Ohr gepresst, die andere Hand hatte sie auf ihre Wange gelegt, so wie es Leute tun, wenn sie betroffen sind. Ihr Gesicht war weiß wie die Wand, vor der sie stand. »O lieber Gott«, murmelte sie.
War mein Vater etwa auf dem Weg zum Baumarkt verunglückt?
»Ja, ja. Danke, dass Sie mir gleich Bescheid gegeben haben.« Sie legte auf und kam in die Küche getaumelt.
»Ist was mit Vater?«
»Nein. Markus hat einen Unfall gehabt.«
»Was? Wann denn? Wie denn? Wie schlimm ist es?«
Sie hielt sich an der Küchenplatte fest. »Er ist, Gott sei Dank, nicht in Lebensgefahr. Es ist heute Morgen pas siert, auf dem Weg zur Arbeit, sagt die Schwester. Auf der Treppe.«
»Auf der Treppe?«
»Ja, so hat sie’s gesagt. Sie meint, er hat einen komplizierten Armbruch und einen weniger komplizierten Beinbruch, beides auf der rechten Seite.«
»Das ist ja furchtbar. In welchem Krankenhaus liegt er denn?«
Sie sah mich erschrocken an. »Sie hat’s wohl am Anfang gesagt, aber das hab ich jetzt vergessen, vor lauter Schreck.«
»Was?«
»Und am Ende hat sie gesagt, die Unfallchirurgie ist im Erdgeschoss, und er liegt in Zimmer vierzehn.«
»Vergessen? Mensch, Mutter«, rief ich aufgebracht, »das ist ja jetzt richtig scheiße.«
»Ja, richtig scheiße«, wiederholte sie geistesabwesend. Sie setzte sich wieder an den Tisch und starrte vor sich hin.
Ich ging in den Flur und rief die Auskunft an, um mir von allen städtischen Krankenhäusern die Nummern geben zu lassen. Meine Eltern hatten zwar immerhin ein Telefon mit Tasten, aber sie waren von der Wählscheibenära nur einen kleinen Schritt entfernt. Ihr Telefon war braun und hatte noch eine Schnur. Man konnte natürlich nicht sehen, welche Nummer zuvor angerufen hatte, denn es besaß kein Display. Aber schließlich musste ich dann doch nicht den ganzen Vormittag am Telefon verbringen, meine nervöse Mutter im Nacken. Beim dritten Versuch landete ich den Treffer. Mein Bruder befand sich im Klinikum Rechts der Isar. Also legten wir meinem Vater einen Zettel hin – denn ein Handy besaß er nicht. Eigentlich war es kein Zettel, sondern ein Brief, denn meine Mutter hatte eine ganze Seite geschrieben, um ihm die Angst zu nehmen. Ich stand im Mantel da und rief Frau Wenzel an, um ihr zu sagen, was passiert war, und dass ich heute vielleicht etwas später kommen würde. Sie meinte: »Ach, Liebchen, was stürzt denn da gerade alles auf dich ein?« Es war, als ob eine tröstende Hand mir über den Kopf streichelte, und für eine Sekunde ging es mir sogar gut. Ich steckte das Handy wieder in die Tasche und wartete, bis meine Mutter den Brief beendet hatte. Sie las ihn durch, und dann zerknüllte sie ihn.
»Was machst du denn da?«, fragte ich entsetzt.
»Wir fahren jetzt nicht mit der S-Bahn, sondern warten auf den Papi.«
»Aber der kommt vielleicht erst in Stunden. Du weißt ja, wie das ist, wenn er im Baumarkt ist. Warum hat er auch kein Handy?!«
»Wir haben so ein Gerät aus Prinzip nicht.« Sie spitzte schmollend die Lippen.
»Welchem Prinzip denn?«
»Im Fernsehen haben sie gesagt, das macht abhängig.«
»Dafür seid ihr abhängig vom Fernsehen, aber okay. Was machen wir nun, Mutter?«
»Wir warten auf den Papi. Ich kann doch nicht ohne ihn fahren.« Dann fing sie an zu weinen. Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich habe sie nicht oft weinen gesehen. In diesem Moment tat sie mir wahnsinnig leid. Ich ging zu ihr, tätschelte ihr die Schulter und sagte: »Ist ja gut. Du hast recht. Wir warten auf Vater. Markus liegt ja, Gott sei Dank, nicht im Koma oder so. Und auf eine Stunde früher oder später kommt es nicht groß an.«
Sie hob den Kopf und nickte erleichtert.
Gerade, als ich meinen Mantel wieder ausgezogen hatte und mich setzen wollte, klingelte mein Handy. Ich lief in den Flur und holte es aus meiner Tasche. Ein Blick auf das Display: Christoph!
5
V or Aufregung wurde mein Mund ganz trocken, und meine Hände fingen an zu zittern.
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