Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam
Frau Wenzel und ich waren uns auf Anhieb sympathisch, und ich arbeitete am nächsten Tag zur Probe, und sie gab mir die Stelle. Daraufhin kündigte ich bei der Buchhandlung Baumhauer, und vier Wochen später fing ich bei Frau Wenzel an.
Als Teenager hatte ich lange überlegt, was ich nach der Schule machen sollte. »Mach halt was mit Büchern«, war Tante Kathis Vorschlag gewesen, »du liest dich eh irgendwann deppert.« Das Witzige daran war, dass das tatsächlich mein Traumberuf war und sie es eigentlich nur als Erste ausgesprochen hatte.
Nach meiner Ausbildung hatte ich ein paar Jahre für diesen komischen Kauz gearbeitet, dessen Leben ausschließ lich aus Büchern bestand und dessen Buchhandlung Baum hauer so gut wie immer leer war. Ich war zwar den ganzen Tag alleine in dem Laden und las viel seinerzeit, aber auf Dauer war ich etwas unterfordert. Mein Chef boykottierte hartnäckig die Bestsellerlisten, was zur Folge hatte, dass die Kunden wiederum seinen Laden boykottierten.
Nächstes Jahr würde ich die Buchhandlung Stendhal übernehmen. Frau Wenzel war über sechzig und wollte noch ihren Lebensabend genießen. Sie hatte mich gefragt, ob ich den Laden weiterführen wollte – und natürlich wollte ich. Allerdings bewegten sich meine Ersparnisse zwar in einem vernünftigen Rahmen, reichten aber nicht für eine Übernahme einer Buchhandlung.
Frau Wenzel und ich hatten viel darüber gesprochen, und schließlich schlug sie mir vor, ich solle ihr keine Ab löse zahlen, dafür würde sie stille Teilhaberin werden. Das schien mir für beide Seiten ein faires Angebot zu sein. Außerdem würde ich ihr nicht viel Miete bezahlen müssen, und das war in München Gold wert. Ich musste mir zwar noch Gedanken über eine Angestellte machen, die mir zur Seite stehen würde, aber das hatte noch Zeit bis nächstes Jahr.
Sie freute sich auf ihr Rentnerdasein, oder eben ihren Lebensabend, wie sie sich ausdrückte. Wenn wir darüber sprachen, dann zählte sie immer nüchtern auf: »Yoga und Meditation, Reisen, Shoppen und vielleicht noch einmal einen Freund haben.« Fürs Reisen hatten Christoph und ich nie viel Geld ausgegeben, weil er nicht gern in den Urlaub fuhr. Das hatte ich nie wirklich verstanden. Wie kann man nicht gern verreisen? Einmal waren wir in der Toskana und einmal in Prag. Er hatte die ganze Zeit gejammert, dass es nirgends ein anständiges Brot gab. »Ich kann es kaum erwarten, wieder meinen geliebten Bauernlaib zur Brotzeit zu haben.« Ich dachte, ich spinne, als er das sagte. Aber später hatte ich mich daran gewöhnt, dass er am liebsten zu Hause blieb. Ich hätte mir gern die Welt angesehen, aber allein durch einen thailändischen Dschungel zu marschieren, schien mir auch nicht verlockend.
Der Tee war ausgetrunken und der Zigarillo ausgeraucht, als Frau Wenzel meinte: »Ich hätte wirklich gern wieder einen Freund.«
Das überraschte mich, hatte ich ihr doch gerade eine halbe Stunde darüber referiert, welche Nachteile eine Beziehung so mit sich brachte.
Die S-Bahn hatte mal wieder Verspätung, und ich fror mich beinahe zu Tode. Am Bahnsteig ging ständig ein Freak auf und ab, der uns darüber aufzuklären versuchte, dass Jesus in unseren Herzen sei. Als er zum zwanzigsten Mal an mir vorbeikam, sah er mich an und rief: »Nicht einmal über dich wird Jesus den Stab brechen!«
In solchen Momenten hätte ich gern Tante Kathis Mumm gehabt. Sie pflegte dann Sätze zu sagen wie: »Schau, dass’d weiterkimmst, du Depp, du damischer.«
Ich hingegen neigte zu Gutmütigkeit, die schon manchmal an Dummheit grenzte. Der arme Mann ist krank, dachte ich, da kann er doch nichts dafür. Also drehte ich mich um und ging auf größere Distanz zu ihm. Nach endlosem Warten kam endlich die S-Bahn, und ich quetschte mich rücksichtslos durch die Menge, um einen Sitzplatz zu bekommen. Das hatte ich zuvor noch nie gemacht. Würde ich als Nächstes bei den Nachbarn klingeln, um mich über die laute Musik zu beschweren – oder aufpassen, dass Hundehalter auch brav den Kot in die Tüten packten?
So langsam wurde es an der Zeit, wieder bei meinen Eltern auszuziehen und mir wieder ein eigenes Leben zuzulegen.
Wenn ich es recht bedachte, war meine Lage gar nicht so übel. Bald würde ich selbstständig sein, und das, ohne mich zu verschulden, ich konnte mir schöne Dinge leisten und hatte Menschen, die mich mochten. Aber im nächsten Augenblick dachte ich an Christoph und war wieder am Boden zerstört. Gefühle zwischen
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