Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam
was soll’s: Christoph und ich haben uns gestern getrennt, und ich wohne jetzt – bitte nicht lachen – wieder bei meinen Eltern.«
Sie sah mich ernst an. »Aber warum sollte ich darüber lachen, Liebchen? Das ist ja schrecklich. Ich wusste gar nicht, dass es so schlecht um eure Ehe steht.«
»Tja, ich auch nicht.«
»Das tut mir sehr leid, Frau Fritsch.«
Ich nickte und versuchte zu lächeln. »Es tut ganz schön weh.« Meine Stimme fing an zu zittern, aber ich wollte mich zusammennehmen und nicht vor meiner Chefin zu weinen anfangen. Deshalb lachte ich kurz auf, versuchte, dem peinlichen Moment den Schrecken zu nehmen. Es gelang mir nicht; plötzlich kam alles aus mir heraus, und ich schluchzte und schlug die Hände vors Gesicht. Ich spürte ihre Hand auf meiner Schulter. »Lass es raus. Du solltest die Wut nicht verdrängen«, redete sie beruhigend auf mich ein. »Diese Wunde in dir darf nicht noch tiefer werden, indem du den Schmerz nicht annimmst.«
»Hallooo?«, tönte es aus dem Verkaufsraum. Das musste der Mann vom Krimiregal sein. Ich wischte die Tränen weg und strich mein Haar glatt.
Frau Wenzel rollte mit den Augen. »Diese Kunden. Immer in den unpassendsten Momenten. Entschuldige mich.« Sie drehte sich um und verschwand aus dem Büro.
Ich ärgerte mich über mich selbst. Gleichzeitig brachte mich meine Reaktion durcheinander. In den letzten Jahren hatte ich unzählige psychologische Ratgeber in die Regale einsortiert, viele davon auch gelesen oder überflogen. Manche behaupteten, man solle die Gefühle rauslassen und Verletzungen nicht verdrängen. Andere meinten, wenn man sie ungehemmt zuließe, würden sie nur zunehmen, weil man sich dadurch nur hineinsteigerte. Wieder andere sagten, man solle einfach man selbst sein. Wenn das so ein fach wäre. Wer war überhaupt ich selbs t ? Wer wäre ich, wenn ich in einer anderen Familie aufgewachsen wäre, in einem anderen Land, unter anderen Umständen? Was wäre aus den Serienkillern mit grauenhaften Kindheiten geworden, wenn sie normal aufgewachsen wären? Mir wurde bewusst, dass mich dieser irrationale Gedankenwirrwarr nicht weiterbrachte. Mittlerweile war ich sogar bei Serienkillern angelangt.
Ich goss mir einen Kaffee in meinen Don’t-worry-be-happy- Becher und ging in den Verkaufsraum. Der Kunde hatte mittlerweile den Laden verlassen. »Sind die bestellten Bücher alle schon eingeräumt?«
»Ja, alles erledigt.«
Ich nahm einen Stapel Prospekte und Magazine und verteilte sie auf dem antiken Tisch neben dem Fenster.
»Bin ich eine schlechte Ehefrau gewesen?« Okay, noch plumper hätte ich nicht anfangen können. Außerdem konn te Frau Wenzel wohl kaum beurteilen, wie ich als Ehefrau war.
»Ich kann nicht beurteilen, wie du als Ehefrau warst.«
»Das Einzige, was ich dazu sagen kann, ist, dass du ein netter Mensch bist und nicht die erste Frau, die sich von ihrem Mann trennt.« Sie verzog den Mund. »Und ganz bestimmt auch nicht die letzte.«
»Findest du, dass Christoph zu pfiffig für mich war?« Sie kannte ihn nicht besonders gut, aber immerhin hatte sie ihn ein paar Mal gesehen.
»Zu was?« Sie legte die Stirn in Falten.
»Pfiffig.«
»Wie kommst du denn darauf?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Hat mein Vater gesagt.«
»Nein.« Dann wurde sie nachdenklich. »Vielleicht habt ihr zu jung geheiratet.«
Ich sagte nichts.
»Aber das ist nur eine Vermutung.«
»Keine Ahnung. Jedenfalls hat er etwas gebraucht, was ich ihm nicht geben konnte.« Ich machte mich wieder an die Prospekte, als ein etwa sechzigjähriger Mann hereinkam und unser Gespräch unterbrach. Mitunter war es schwierig, im Laden ein längeres Gespräch zu führen, weil man es abrupt abbrechen musste.
»Grüß Gott«, rief der Mann.
»Hallo.«
Er ging geradewegs auf mich zu. »Haben Sie das Buch Ich bin am Ufer gesessen und überlegte ? Autor unbekannt.«
»Äh … Ich kenne das Buch leider nicht, aber wir sehen mal im Computer …«
»Coelho«, kam es von meiner Chefin, ohne dass sie aufblickte. Sie hatte die Marotten, Eigenheiten und Titelverdrehungen der Kunden schon so intus, dass sie eine Art Code-Entschlüsselungs-Meisterin geworden war. Manchmal gelang das auch mir, aber ich war darin weniger begabt als sie.
»Oh«, rief ich erleichtert. »Sie meinen wahrscheinlich Am Ufer des Rio Piedra saß ich und weinte? Der Autor heißt Paulo Coelho.
Er zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich, ja. Haben Sie’s da?«
»Ich seh mal nach.« Ich ging zur Belletristik,
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