Ohne Netz
mehr geht: aus- und wieder anschalten. Tatsächlich: Das Faxgerät fängt mit diesem frühindustriellen Soundtrack aus Quietschen und zuckelndem Rattern an, ein Blatt nach dem anderen auszuspucken. Es hört gar nicht mehr auf. Aber es sind keine Texte aus dem Archiv, sondern lauter Seiten, die die verschiedensten Leute und Institutionen am Montag, also vor vier Tagen losgefaxt haben, Konzertagenturen, WDR, die Münchner SPD lädt zum Jazz-Frühschoppen ein und so weiter. Danach der Schwung vom Dienstag. Ich stehe daneben und kann es kaum fassen: Fünf Tage lang ist keinem von uns aufgefallen, dass keine Faxe kamen. Das liegt nicht daran, dass das hier ein Schlamperladen wäre, die Woche war stressig, alle haben malocht, was das Zeug hielt. Das hier ist einfach nur der schlagende Beweis dafür, dass außer einigen frühschoppenaffinen SPD-Wählern kein Mensch mehr auf Faxe wartet. Wenn ich Geschäftsführer einer Zeitung wäre, ich würde, wenn denn schon gespart werden muss, als Erstes diese Dinger abschaffen. Aber bitte erst nach meinem Versuch.
13. FEBRUAR
Michael Endes »Jim Knopf« beginnt auf der Insel Lummerland, die mehrfach in dem Buch als Eiland bezeichnet wird. Gerade eben höre ich durch die Kinderzimmertür, wie sich N. mit seinen Marionetten durch diese Geschichte bewegt: Jim und Lukas befreien Prinzessin Lisi aus den Fängen des Drachen, kämpfen erbittert mit den Piraten der Wilden 13, und irgendwann ruft N.: »Ah, da hinten, ein unbewohntes iPod! Wir müssen unbedingt dieses iPod erkunden!«
14. FEBRUAR
Sonntagsdienst, vormittags um elf. Ich stehe vorne an der Theke und blättere die Wochenendzeitungen durch. Normalerweise würde ich das am Rechner tun, seit Dezember mach ich’s eben analog, hier, wo die Zeitungen abgeheftet werden. Unsere Sekretärin sagt: »Wie oft du jetzt hier am Tresen stehst. Hast nix zu tun?« Sie meint das ironisch, ich kontere mit einem Witz, aber bemerke leise Panik. Auf keinen Fall darf dieser Eindruck entstehen! Mein Gott, nun ist es besiegelt, alle Welt hat meine Überflüssigkeit bemerkt, man wird mir noch am Abend die Kündigung aussprechen.
15. FEBRUAR
In der Schweiz hat eine Werbeagentur ein Experiment gemacht: Facebook-Mitglieder, die sehr viel Zeit auf der Seite verbringen, durften einen Monat lang nicht in ihren Account. Der Leiter des Experiments sperrte vor den Augen der Teilnehmer deren Passwörter. Eine Frau behauptete, dieser Moment habe sich angefühlt, als habe man ihr den Wohnungsschlüssel weggenommen, eine andere, es komme ihr vor, als sei ein naher Verwandter gestorben. Jetzt frage ich mich mal wieder, ob ich ein hoffnungslos überkommenes Auslaufmodell bin oder ob die heftig einen an der Waffel hat. Vier Wochen Facebook-Entzug – so schlimm wie der Tod eines Verwandten? Wollte die einfach nur etwas hochgradig Idiotisches sagen, um damit ins Fernsehen zu kommen? Oder haben die Schweizer andere Beziehungen zu ihren Verwandten? Sind ja ein eher reserviertes Bergvolk. Wie auch immer: Für die meisten war die Erfahrung sehr hart. Obwohl sie weiterhin ins Netz und auch sonst alle Medien konsumieren durften, fühlten sie sich abgeschnitten, ausgegrenzt, alleine. Als ich das las, fiel mir Thomas Mohol wieder ein, mein Freund aus dem Bernauer Gefängnis, der ja bis zum Tag vor seiner Inhaftierung auch sein ganzes Sozialleben über Facebook abwickelte und der gerade wieder einen schönen Brief schickte: »Früher, mit meinen Freunden im Netz, der permanente Gesprächsstrom – dagegen jetzt die verrückte Effizienzmanie in den kurzen Besuchen, das Gespräch verkommt da zum nervösen Info-Austausch. Aber versteh mich nicht falsch, ich tue mir schwer damit zu sagen, Gefangene würden leiden, als Strafgefangener hat man ja einen gewissen Weg hinter sich, den man in den meisten Fällen selbst gewählt hat.«
Die Schweizer Werbeagentur machte nach dem Experiment Interviews mit allen Beteiligten. Viele sagen, sie würden jetzt »weniger zwanghaft oder in weniger dekadent häufiger Form« reinschauen; sie hätten durch den Fastenmonat erkannt, was für einen sozialen Stress die permanente Pflege des eigenen Accounts bedeute. Ganz auf Facebook verzichten wollte danach aber keiner. Dem Resümee würde ich mich anschließen: Ich hoffe, durch das halbe Jahr ein wenig Souveränität zurückzugewinnen. Dass ich danach weniger zwanghaft in meine Mails schaue. Aber ganz aufs Netz verzichten? Never ever, wie wir in Harvard zu sagen pflegen.
Ich bin nicht bei Facebook.
Weitere Kostenlose Bücher