Ohne Netz
bei Hartmut Rosa abgeschrieben, ich habe nicht die leiseste Ahnung, wer dieser Ancillon war. Aus Rosas Abhandlung habe ich mich ohnehin bedient wie der letzte Zitatkleptomane, noch meine Kindeskinder werden in der Schuld des Jenaer Soziologen stehen.
Ferner gibt es ein paar Wörter, bei denen ich so ein unsicheres Gefühl habe, ob sie von mir stammen oder nicht. Kann mir mal jemand sagen, ob der »Mutmaßungsballast« auf meinem eigenen Sprachmist gewachsen ist? Als mir das Wort einfiel, schritt ich aufgeregt im Flur auf und ab und dachte, Rühle, was bist du nur für ein rhetorischer Teufelsbraten. Als ich es dann ein paar Tage später wieder las, fragte ich mich plötzlich, ob ich’s nicht doch irgendwoher kenne. Ich müsste googeln, kann aber nicht.
Und zu guter Letzt bin ich geradezu goldtgetränkt, ich lese abends, wenn ich bedrückt oder müde bin, oft in Max Goldts Kolumnen, weil kaum etwas so gut tut wie dessen genaue Formulierungen und sein federleichter Ernst. Der oben zitierte »Bollerwagen der Phantasie« stammt von ihm, nicht dass die FAZ am Ende mein Zeug zwischen »Die Löwin – Ihr Körper ist die Beute« und »Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zwickau« stellt.
Max Goldt steht übrigens nicht in der Germanistikbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität. Ich war dort vor ein paar Wochen, am 21. Januar, um mich auf eine Moderation vorzubereiten zu Feridun Zaimoglu, nachdem ich im Netz nichts Brauchbares zu seinem neuen Buch gefunden hatte. Ja, im Netz. Es scheint dies nicht nur die hohe Stunde der Porno-, sondern auch die der Internetgeständnisse zu sein: Ich bin nachmittags am Rechner meiner Frau eine halbe Stunde ins Netz und habe panisch Rezensionen zu »Hinterland« gesucht sowie dies und das zu Zaimoglus Leben. Ich war nämlich schlichtweg verzweifelt: Mein Co-Moderator hatte kurzfristig abgesagt wegen Fischvergiftung, jetzt musste ich zusätzlich zu den beiden Autoren, auf die ich mich vorbereitet hatte, zwei weitere moderieren, ohne je eine Zeile von den beiden gelesen zu haben. Es war bitter enttäuschend. Das Googeln, meine ich. Habe panisch in Onlinerezensionen quergelesen, bin ergebnislos auf den Verlagsseiten herumgestolpert, schaute zum Fenster raus und dachte, na toll, gratuliere, das war’s also mit dem Fasten. Andererseits: Was hätte ich stattdessen tun sollen? In die Bibliothek fahren? Das hab ich dann ebenfalls gemacht. Das war aber noch enttäuschender. Wobei das natürlich auch an mir lag, Google und Germanistenbibliotheken hatten ja immer schon gemein, dass sie beide keine Häppchenaufbereitungsmaschine für blanke Moderatoren sind, da muss man jeweils einen Rucksack voller Zeit mitbringen, wenn man was finden will. Nachdem ich eine Weile lang hektisch-ziellos in diversen Sekundärtexten herumgeblättert hatte, dachte ich, okay, ich muss das heute abend so hinkriegen. So-Hinkriegen geht aber nicht, indem ich jetzt Sekundärtexte über »Migrationsdiskurse in der zeitgenössischen deutschen Literatur« nach Zaimoglu-Passagen scanne, sondern indem ich vor der Moderation ordentlich die Neuronen durchlüfte, und was tut da besser als ein paar Goldt-Texte. Der Enttäuschungsgau aber war dann die Feststellung, dass da kein einziges Werk von Max Goldt steht. Ich möchte diese Lücke in aller Schärfe anprangern, wie kann sich so was denn Germanistik-Bibliothek nennen. Liegt das daran, dass Goldts Texte von schlampigen Germanisten unter »Kolumnen« rubriziert werden? Und Kolumnen für die per se minderwertig sind? Das wäre ja ungefähr so töricht wie einer, der das Internet per se doof findet.
Okay, das war’s, der Beichtstuhl kann wieder geschlossen werden. Ich schwöre feierlich: Sollte irgendjemand später feststellen, dass ich heimlich in irgendeinen Blog gelurt oder sonst was im Internet gemacht habe, gebe ich alle Einnahmen aus diesem Buch an die beiden Google-Mogule Larry Page und Sergey Brin ab (das, lieber Kölner Sexshop-Betreiber, das fände ich pervers).
12. FEBRUAR
Freitag Mittag, Cornelius Esau vom Archiv will mir etwas faxen. Es kommt aber nichts. Auf dem Display des Geräts steht »Bitte warten«. Ich warte und rufe schließlich noch mal bei ihm an. Er versichert mir, dass er die Seiten bereits zweimal losgeschickt habe, aber es jetzt noch mal versuchen werde. Das Fax steht still und schweiget: »Bitte warten.« Ich bitte. Ich warte. Nichts geschieht. Ich mache das, was technisch unbegabte Menschen oft probieren mit ihren Geräten, wenn nichts
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