Ohne Netz
FAZ hat anscheinend alle Passagen online gestellt, aber das nützt mir ja in meiner analogen Ahnungslosigkeit momentan wenig. Bernd sagt, sie habe sich vor allem bei Sexszenen vereinzelte Sätze geliehen. Das finde ich merkwürdig, denn Lust auf Derbes hat ja doch jeder mal, und wenn der Bollerwagen der Phantasie erst mal von der schmalen Straße der Sitte und Vernunft abkommt, dann rollt das doch von ganz alleine im Schweinsgalopp übers matschige Gelände. Wer braucht denn ausgerechnet in Sachen Sex fremde Gebrauchsanweisungen? Da stellt man sich einfach eine Frau vor, bieder und brav, die sich jeden Abend in einen unersättlichen Vamp verwandelt, bis es ihr nass aus dem Loch läuft. Sie fickt sich gnadenlos durch, und wenn der geile Hengst ihr sein Sperma in den Rachen schießt, geht sie ab wie eine Rakete.
Hmm, der Bruch war vielleicht doch zu groß, am Ende fällt noch auf, dass die letzten beiden Sätze gar nicht von mir sind. Der erste stammt von der Hülle der DVD »Die Löwin – Ihr Körper ist die Beute«, der andere vom Cover des Fachprodukts »Gina Wild – Das erste Mal vor der Kamera«. Ich habe das notiert in einem Kölner Sexshop, der Verkäufer kam sofort an und fragte, was ich da bitte mache. Kommt ja sicher auch nicht oft vor, dass hier einer mit Bleistift wortgetreu Sätze von den Covern in ein kleines Notizheft abschreibt. »Ich brauche das für mein Tagebuch«, sagte ich. Seinen Blicken zufolge war das Perversionsetikett, das mir der Mann im Geiste anheftete, ungefähr sieben Meter groß. Ich stand da inmitten teils bizarrer Apparaturen, Dildos, dick wie transkontinentale Ölleitungen, Gasmasken, aufgerissene Puppenmünder, die eher nach »Scream IV« aussahen als nach lusterfülltem Gesicht. All dies wird mit ostentativ neutralem Blick verkauft. Wenn aber einer im Laden steht und mit Bleistift zwei Sätze abschreibt, schauen sich die beiden Fachverkäufer an, als überlegten sie gemeinsam, ob es angeraten sei, die Polizei zu rufen.
Jedenfalls lege ich lieber gleich offen, dass die beiden Sätze nicht von mir waren, sonst fallen Blogger und Zeitungen am Ende gemeinsam über mich her, der Rühle ist ein Hardcore-Kopierer. Oder die FAZ stellt gar online jede Seite meines Buches neben eine Szene von »Die Löwin – Ihr Körper ist die Beute«. Aus den beiden Filmtiteln und den zitierten Sätzen kann man übrigens kaum Schlüsse über meine sexuellen Präferenzen ziehen – es gibt, wie ich in dem Laden feststellen musste, heutzutage schlichtweg kaum noch Porno-DVDs mit Inhaltsangabentext. Auf fast allen Hüllen waren nur Bilder zu sehen, auf einigen noch spröde Schlagworte wie »Cum – Fisting – Anal«.
Ich überlegte kurz, ob ich mich mit einem Protestschild »Gegen englische Schlagwortrubrizierungen auf in Deutschland vertriebenen Pornographie-Produkten – für ausführliche Inhaltsangaben in hypotaktischen Satzgefügen!« zwischen die Regalreihen stellen sollte. Immerhin würde ich damit bei der Gesellschaft für deutsche Sprache punkten. Das sind diese linguistischen Zeugen Jehovas, deren Mitglieder in Sack und Asche durch die Straßen laufen, weil das Deutsch dauernd kaputtgeht. Die wählen das Unwort des Jahres, verwalten den deutschen Sprachschatz und überziehen einen mit Anrufen und Leserbriefen des Inhalts, dass doch unser aller Muttersprache längst in Agonie liege. Allein schon die Werbung, Englisch allerorten, jetzt anscheinend auch noch die Pornoindustrie, quengel, quengel, quengel. Da eine solche Protestaktion den Blicken des Ladenbetreibers zufolge aber wahrscheinlich jäh mit meinem Wunsch nach einem langen Leben kollidiert wäre, habe ich mich lieber stumm vom Acker gemacht, einem Acker, so muss ich hinzufügen, auf dem das Unkraut meiner Privatperversionen nicht recht aufblühen wollte, Anal – Cum – Fisting, das ist selbst für anspruchsloses Unkraut nur recht schütterer Dünger.
Apropos stumm und verschämt: Vielleicht ist dies auch der Zeitpunkt zu erwähnen, dass ich in meinen Text einen Satz von Dag Hammarskjöld und eine Dreiwortformulierung aus Wilhelm Genazinos großartiger »Abschaffel«-Trilogie eingeschmuggelt habe, als heimliche Reminiszenz. Dito Max Frisch. Die Struktur des Buches soll von ferne an Nicholson Bakers Miniaturepiphanien in »Eine Schachtel Streichhölzer« erinnern. Das Ancillon-Zitat über die »Liebe zur Bewegung an sich in der Moderne«, das ich so selbstverständlich bringe, als sei ich mit Ancillons Gesamtwerk auf Du und Du, habe ich
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