Ohne Netz
Arbeitsplätze.« Das hatte ich im vergangenen halben Jahr alles: Wohnortnahes Büro. Langfristige Abstinenz. Starke Einbeziehung von Freunden und Familie. Aber was ist mit dem geschützten Arbeitsplatz? Da wird es ja in sechs Wochen wieder losprasseln.
26. APRIL
Ich muss nach New Jersey, um Keith Jarrett zu treffen. Das Problem dabei: Man muss sich als europäischer Kurzbesucher beim amerikanischen Konsulat online registrieren. Analog geht es nicht. Als die Sekretärin das sagt, denke ich noch, ach da wird’s schon irgendeinen Weg geben. Gibt es aber nicht. Ich bin heute Morgen im Regen zum Konsulat an der Prinzregentenstraße geradelt. Dort hängen Infokästen, auf denen steht ebenfalls: Kurzbesucher online registrieren. Als ich einen der Wachmänner an der Pforte fragte, ob es einen anderen Weg gibt, zeigte er auf den Kasten und sagte in dem reizenden Ton, der amerikanischen Beamten seit dem 11. September so gut zu Gesicht steht: »Read! What’s! Written! There!« Ich hab dann noch mal vom Büro aus im Konsulat angerufen und gefragt, ob es keinen anderen Weg gebe. Vorbeikommen. Faxen. Telefon. Was weiß ich. Ein Herr Schaller verneint freundlich aber bestimmt, das gehe tatsächlich nur noch online, keine Ausnahme. »Und wenn alte Leute nach Amerika wollen?« »Die meisten haben Kinder, die das für sie erledigen.«
Na toll, jetzt hab ich in der letzten Arbeitswoche vor dem letzten freien Monat genau die Situation, die ich nie haben wollte: Ich muss niedere digitale Dienste an eine Sekretärin delegieren. Die arme Heidi Hecht, ein Urgestein der SZ, die nächste Woche in Ruhestand geht, muss sich jetzt an ihrem Rechner durch den Irrgarten dieser Kurzvisa-Seite quälen. Nach einer Stunde bringt sie mir das ausgefüllte Formular vorbei. Sie hat die Fragen, ob ich an terroristischen Aktivitäten, Sabotageakten und/ oder einem Völkermord beteiligt war, mit nein ausgefüllt. Woher will die denn das wissen? Immerhin bin ich eng verwandt mit einem Menschen, der beinahe schon mal das ganze Internet gelöscht hätte.
28. APRIL
Heute hatte ich meinen letzten Dienst offline. Ein Glück, ein Glück, auch der ging rum ohne große Katastrophen. Andrian Kreye, mein Chef, sagte danach, er sei überrascht, wie gut es geklappt habe, das halbe Jahr. Ich dachte, hast du eine Ahnung, aber nickte erleichtert.
Gar nichts hat geklappt. Der Tag hat einmal mehr gezeigt, dass das, was ich mache, eigentlich gar nicht geht. Dass ich auf die Hilfe meiner Kollegen angewiesen bin, wenn ich als Diensthaber noch funktionsfähig bleiben will. Wir machen die erste Seite auf mit einer Geschichte über ein zensiertes Musik-Video von Romain Gavras. Also muss ich für die Auswahl der Fotos in die Bildstelle, dort mit der Redakteurin das Youtube-Video ansehen, in dem Jugendliche durch Minenfelder geschickt werden, und aussagekräftige Screen-Shots raussuchen. »Oh mei«, murmelt die Redakteurin nach dem dritten explodierten Körper, »muas des sein?«. Und Kassian Stroh, ein Kollege aus dem Redaktionsausschuss, bringt mir den Ausdruck einer Rund-Mail, in der er geschrieben hat: »Unserem Elektronenverweigerer werde ich das Ganze auf Tierhaut ritzen und vorbeitragen.«
MAI
Keith Jarrett redet, als wäre er der amerikanische Cousin von Botho Strauß, die Erde dreht sich als kleiner blauer Tropfen durchs leere All und unser Proband krabbelt auf einen kleinen Zeithügel, von dem aus er ein durchwachsenes Resümee seines Experiment zieht. Aber eines ist sicher: Nie mehr Blackberry!
1. MAI
Es ist 3.30 Uhr, ich sitze mit Jetlag in einem Hotel in Manhattan, in das ich gestern Abend meinen Körper verräumt habe. Neun Stunden Flug, dann ein Bus in die Stadt, bis Port Authority, wo direkt neben mir, am Fahrkartenautomaten für den A-Train, eine brutale Schlägerei ausbricht, bei der der Kopf eines Mannes gegen den Stahlautomaten fliegt. Der Mann geht blutend zu Boden, ein großes Klappmesser schliddert über die Fliesen, eine Frau schreit wie am Spieß, und ich nehme ein Taxi ins Hotel. Wo ich zwei Stunden lang damit beschäftigt bin, telefonisch einen Mietwagen aufzutreiben. Das heißt, erst mal muss ich mir ein Branchenverzeichnis besorgen. An der Rezeption reagieren sie zunächst, als würde ich nach einer Draisine oder einem Hammerklavier fragen. Sie bieten mir an, schnell für mich ein paar Autoverleiher zu googeln. Als ich sage, dass ich das nicht will, schauen sie mich an, als sei ich der kleine Bruder des Una-Bombers. Am Ende geht ein schwarzer
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