Ohne Skrupel
Partymachen gehörte einfach zu seinem momentanen
Lebensabschnitt und Sandy, seine durchgeknallte englische Freundin, war sowieso
nicht zu bremsen. Sie verbrachten eine intensive, knappe Woche zusammen und
hatten zu zweit Spaß für mindestens sechs.
JP saß beim Mittagessen
ausnahmsweise ganz alleine an einem der langen Tische in der Kantine. Er hatte
ein langes Telefonat mit einem seiner Projektleiter zu führen und konnte somit
erst sehr viel später als gewöhnlich zum Essen gehen. Die Abteilungskollegen
waren dann schon fertig und sonst war gerade niemand in der Kantine, den er gut
genug kannte, um sich an dessen Tisch zu setzen. Es waren insgesamt nur noch
wenige Personen im Speiseraum. Direkt hinter JP saß ein Kollege, ebenso
alleine, an seinem langen Tisch. JP kannte diesen Mann hinter sich nur sehr
flüchtig und hatte ein paar Mal beobachtet, dass er diverse Dinge in den
Büroräumen reparierte. Er war wohl so etwas wie ein Hausmeister und „Mädchen
für alles“. JP hatte nur einen bescheidenen Salat vor sich, die vergangenen
Tage hatten ihm garantiert einige unnötige Kilos auf die Rippen gepresst.
Wehret den Anfängen. Man war ja schließlich eitel und figurbewusst.
Da klingelte das Handy
bei seinem Hintermann. Ein widerlicher Klingelton, der irgendwie zwingend die
Aufmerksamkeit auf sich zog. Der Mann meldete sich und sprach Italienisch, nein
genauer gesagt Neapolitan, also den Dialekt von Neapel. Wahrscheinlich dachte
er, dass hier in München niemand seinen doch extrem speziellen Dialekt
verstehen würde. Somit war er weder besonders leise noch zurückhaltend bei
seinem Gespräch. JP wurde somit unfreiwillig Lauschzeuge. Die Tage mit Opa
Giovanni hatten ihm in Bezug auf Neapolitan wieder jede Menge Übung verschafft
und er verstand vielleicht nicht jedes Wort, aber bestimmt 95 % des Gespräches
vom Tisch hinter ihm. Zuerst jammerte der Mann, dass sich irgendeine
Gelegenheit noch nicht ergeben und er schon alles versucht habe! Sein Sohn sei
so furchtbar krank geworden über Weihnachten und man möge ihm doch bitte noch
eine kleine Frist gewähren. Er werde sich etwas einfallen lassen und am
Wochenende verlässlich alles beschaffen. Spätestens bis Montag – na gut, schon
vorher – werde er verbindlich liefern! Ganz bestimmt! Ja, ja, er komme direkt
in die Wohnung und werde alle Unterlagen abliefern. Dann kam der alles
verändernde Schlusssatz: „Mille, mille grazie Capo Pulcinella!“ (Tausend,
tausend Dank Chef Pulcinella!)
JP blieb sein Salat
wahrlich im Halse stecken! Hätte ihm jemand gegenübergesessen, er hätte JP
verdächtigt, ganz bestimmt ein schreckliches Gespenst oder etwas Schlimmeres
gesehen zu haben. Und genauso fühlte er sich! Nur sein schreckliches Gespenst
war sehr real. JP war kreidebleich! Nein, er hatte sich nicht verhört! „Capo
Pulcinella“, hatte dieser Mann soeben gesagt. Und da fielen alle Puzzlesteine
für JP ineinander und machten absolut Sinn. „Bruder Zufall ist oft ein
Eichhörnchen.“, und „Die Welt ist ein Dorf …“, denn das hier hing unmittelbar
mit der befürchteten Werksspionage zusammen! Da war sich JP mehr als nur
sicher!
Und nun wusste JP
wenigstens, welche Person es zu beobachten galt. An den Hausmeister hatte
wirklich niemand bisher gedacht. JP saß noch einige Zeit, nachdem der
Hausmeister und die anderen, wenigen Kantinengäste schon längst gegangen waren,
immer noch an seinem Tisch und grübelte wie paralysiert. Dann rief er Dr.
Drager vom Handy aus an und bat um ein sofortiges, persönliches Gespräch
bezüglich „Mamba“. Sie war allerdings zur Zeit im Werk in Schottland und erst
morgen, als am Freitagabend wieder zurück in München. Er bat direkt um Budget
für „technisches Zubehör“. Keinerlei Details.
Dr. Drager gab sofort
einen Betrag bis 10.000,- Euro frei. Einfach so. Sie wollte ihn morgen Abend im
Office sprechen. Daraufhin rief er das Sicherheitsunternehmen an, das schon den
Einbau der ersten Anlagen sehr professionell erledigt hatte, und bekam
tatsächlich eine Terminzusage für freitagabends nach 20:00 Uhr. Zum Glück war
das Material so kurzfristig zu beschaffen. Der Einbau so spät abends war
geradezu perfekt, da dann niemand mehr in den Büros sein würde. JP nahm sich
sofort für den restlichen und den folgenden Tag frei – Zeitausgleich – und
musste unbedingt ein paar diskrete Erkundigungen einsammeln.
Mit dem Namen „La
Pulcinella“ war für JP Schlimmes verbunden. Gänsehaut verursachende
Erinnerungen aus
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