Ohne Skrupel
Aufgrund seiner Schädelverletzung
wurde er sehr gründlich untersucht. Am Dienstag kam der Arzt und wollte mit ihm
sprechen. Man hatte bei den Untersuchungen auch einen weit fortgeschrittenen,
nicht mehr heilbaren Lymphdrüsenkrebs festgestellt. Seine Lebensuhr würde nur
noch wenige Monate ticken. Schlecht! Aber Fiodr wollte sich nicht bemitleiden.
Er würde für seine Familie alles regeln. Niemand wusste von dem medizinischen
Befund. Ein paar Euro versiegelten die Lippen der ohnehin zur Schweigepflicht
verpflichteten Ärzte.
Fiodr verließ auf eigenes
Risiko das Krankenhaus, machte sein Testament. Dann schloss er eine irrwitzig
hohe Lebensversicherung ab – sechs Millionen Euro im Falle eines Ablebens vor
seinem 65. Lebensjahr, zahlbar an seine Frau und die zwei Töchter zu jeweils
gleichen Teilen. Fiodr hatte schon über Selbstmord nachgedacht, aber dann würde
die Versicherung nicht zahlen. Ein normaler Unfall war allerdings kein
Ausschlussgrund. Seitdem grübelte er hin und her. Wenn er nicht die
Firmenanteile verkaufen würde, dann würde sich das Konsortium an seiner Familie
rächen. Das wollte er verhindern. Aber so ganz wollte er sich nicht kampflos
aus dem Rennen drängen lassen.
Fiodr nahm anfänglich
Baldriantropfen, dann schluckte er ein paar Beruhigungsmittel und spülte
kräftig nach mit ein paar ordentlichen Schlucken Wodka, direkt aus der Flasche.
Er brauchte den Alkohol jetzt am frühen Morgen zur Besänftigung seiner
hochwallenden Emotionen, sonst würde er Doc Oberst und den anderen Partnern
direkt an die Gurgel gehen. Der Russe würde wohl nicht dabei sein, derartige Peanuts
interessierten ihn schon lange nicht mehr. Er schwebte inzwischen in höheren
Spähren. Aber der Schotte, Doc Oberst und dieser unsympathische Berliner, die
werden ganz sicher dort sein. Alleine schon, um sich ins Fäustchen zu lachen
und ihren Triumph zu genießen. Sie hatten ihn ausgebootet und mit einem
Trinkgeld abgefunden. Fiodr fühlte sich unglaublich verladen und wurde sich
schmerzhaft bewusst, dass er nicht in diese Liga von ausgebufften Verbrechern
passte und eigentlich niemals gepasst hatte. Er war ihnen einfach von Anfang an
unterlegen.
Er konnte zwar drei fette
Jahre mitspielen, mitverdienen, aber ein Ende dieser Art war logisch und
vorhersehbar gewesen. Es hätte auch schlimmer für ihn ausgehen können! Ein
bisschen mehr Wasser im Dorfbach und Fiodr hätte das Eis von unten gesehen und
wäre jämmerlich ertrunken. Seine Familie hätte man dann irgendwann vielleicht
auch beseitigt. Fiodr schwankte zwischen Mordgedanken gegen diese „Diebesbande“
und Lobpreisungen an den Allmächtigen, dass er noch ein bisschen leben durfte!
Fiodr hatte die vergangenen Tage intensiv und bewusst gelebt und hätte noch
gerne eine Verlängerung seiner Frist auf Erden gehabt – mehr Zeit, um dieser
Diebesbande eins auszuwischen. Entschlossen griff Fiodr in seinen Tresor und fischte
einen dicken, blauen Ordner heraus. Dieser Ordner war eigentlich immer als
seine Lebensversicherung gedacht, da er penibel alle Transaktionen,
Steuerhinterziehungen, Subventionsmittelunterschlagungen,
Fördermittel-Betrugsdelikte, Bilanzfälschungen, die vielen gefälschten
Arbeitsverträge (Aussage Doc Oberst: „Viele Personen auf der Lohnliste kosten
die Firma viel Geld; auf unseren privaten Konten sind die ausbezahlten Löhne
dann sehr real, die Gehaltsempfänger zum Glück nicht!“) und sonstige Schweinereien
von ihm und seinen Partnern der letzten drei Jahre beinhaltete.
Fiodr würde hier
irgendwann ein bisschen aussortieren müssen und das belastende Material von
sich selbst entnehmen. Den Rest der Unterlagen, die sicherlich für 20 Jahre
Knast für die Drahtzieher sorgen würde, den wollte er zu gegebener Zeit
entweder der Presse oder der Polizei oder beiden zukommen lassen. Seine ganz
persönliche Rache für diese Schweinehunde.
Fiodrs Wut steigerte sich
zusehends und er beruhigte sich immer wieder mit einem kräftigen Schluck aus
der Wodkapulle. Der Anwalt des Konsortiums rief soeben an und wollte sich
vergewissern, dass Fiodr zu dem Termin um 10:00 Uhr in seine Kanzlei käme. Dann
wollte er noch die Kontonummer überprüfen. Da Fiodr seine eigene Schweizer
Kontonummer gerade nicht zur Hand hatte, nahm er die Nummer des Kontos, das er
für seine Frau angelegt und wofür er auch Verfügungsgewalt hatte. Kurz vor 9:00
Uhr bestieg Fiodr sein Auto. Zur Beruhigung nahm er sich noch eine große, volle
Flasche des wunderbaren Wodkas
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