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Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Titel: Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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Nicht schon wieder die Schleicherin!“, begann Tannenberg sofort leise vor sich hinzuschimpfen, als er in die Beethovenstraße einbog und bereits von weitem die Frau erkannt hatte, die ihm ähnlich lästig war, wie ein Bataillon aufdringlicher Schmeißfliegen.
    Die Schleicherin verdankte ihren Namen der ihr ureigenen, speziellen Art der Fortbewegung, die sich aus schlurfenden, langsam aneinander gereihten Schrittfolgen zusammensetzte und die stark an Schlittschuhfahren erinnerte.
    Unter diesem Spitznamen war sie im gesamten Musikerviertel berühmt – und berüchtigt. Kaum jemand kannte ihren wirklichen Namen, außer vielleicht ihre direkten Nachbarn in der Mozartstraße. Sie war so bekannt wie der berühmte bunte Hund. Sogar jedes Kind wusste, wer die Schleicherin war.
    Ihr gesamtes Wesen schien nur aus einer einzigen, zentralen Eigenschaft zu bestehen: aus Neugierde. Sie strich um die Häuser und Ecken wie ein herrenloser Straßenköter, der mit eingezogenem Schwanz die Gegend nach vergammelten Speiseresten durchstöbert. Aber sie suchte natürlich nicht nach alten Knochen oder sonstigen essbaren Dingen, nein, ihr einziges Streben bestand darin, die Personen in ihrer unmittelbaren Umgebung intensiv und dauerhaft auszuspähen und zu belauschen.
    Deshalb verbrachte sie auch gut und gerne den halben Tag damit, scheinbar ziellos durch die Gassen des Musikerviertels zu schlendern – immer darauf lauernd, dass irgendjemand ein zur Straße gelegenes Fenster öffnete, den Wagen parkte oder vom Einkaufen zurückkehrte.
    Neben diesen Zufallskontakten hielt sie kontinuierlich Verbindung zu ihrer Stammkundschaft, die sie in regelmäßigem Turnus an bestimmten Orten traf und bei denen es sich meist ebenfalls um Hundebesitzer handelte, die sich dann gemeinsam mit ihr in den nahe gelegenen Stadtpark aufmachten.
    Die etwa siebzigjährige, beleibte Frau war stets in Begleitung eines aufgedunsenen, an verschiedenen Körperstellen kahlrasierten weißen Pudels, dessen rosige, nackte Haut Tannenberg merkwürdigerweise immer an gerade aus dem Nest gefallene Vogeljunge erinnerte.
    Die Schleicherin schien nur aus Sinnesorganen zu bestehen: Zwei großen Augen für Besucherkontrollen, zwei großen Ohren für Lauschangriffe – und einem großen Mund, um die gierig eingesogenen Informationen bei konspirativen Zusammenkünften mit ihren Kolleginnen aus der Tratschweiber-Szene auch mühelos austauschen zu können.
    Die ganzen Jahre über war die tannenbergsche Wohnanlage von dieser leibhaftigen Verkörperung einer penetranten Belästigung weitgehend verschont geblieben. Aber seit dem Zeitpunkt, an dem sich seine gutmütige Mutter von einer Nachbarin deren überfütterten Langhaardackel hatte aufschwatzen lassen, kreuzte sie jeden Tag gleich mehrere Male vor dem Haus in der Beethovenstraße auf.
    Und nun stand sie mal wieder vor dem geöffneten Küchenfenster der elterlichen Wohnung und unterhielt sich angeregt mit seiner Mutter. Geistesgegenwärtig schlug er einen Haken, kehrte zurück in die Richard-Wagner-Straße und schwenkte dann in die genau in diesem Augenblick garantiert ›Schleicherinnen-freie-Zone‹ Parkstraße ein.
    Wolfram Tannenberg ertrug das bigotte Gehabe dieser heimtückischen Spionin, die immer ein nettes Wort oder einen freundlichen Handgruß für ihre potentiellen Opfer bereithielt, einfach nicht, ebenso wenig wie die albernen Gespräche, mit denen die alte Frau die Verdauungsprobleme und Schlafstörungen ihres Hundes kommentierte.
    Wenn er zu Hause in seiner Wohnung war, verschloss er deshalb, sobald er registrierte, dass seine Busenfreundin wieder einmal in der Nähe war, in einer inzwischen automatisierten Zwangshandlung umgehend die zur Beethovenstraße hin gelegenen Fenster.
    Er hasste solche hinterlistigen Schandmäuler, die nichts anderes im Sinn hatten, als ihre Mitmenschen auszuhorchen und sich an deren Problemen und Streitereien zu ergötzen. Niemals hätte er freiwillig Kontakt zu einem dieser farblosen, unterwürfigen Gestalten aufgenommen, genauso wenig wie er sich dazu bereit erklärt hätte, Mineralwasser seinem geliebten italienischen Wein vorzuziehen.
    Tannenberg verabscheute zutiefst diese scheinheiligen Duckmäuser und Hasenfüße, die nie offen ihre Waffen zeigten, wenn sie sich in die Kampfarena des Lebens begaben, sondern immer einen im Strumpf versteckten Dolch mit sich führten, den sie einem dann bei passender Gelegenheit skrupellos und genüsslich von hinten in den Rücken jagen konnten.
    Er

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