Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall
schon was Interessantes für dich gefunden.“
„Und was, Vater?“, fragte der Kriminalbeamte gelangweilt.
„Das ist ja wirklich eine Wissenschaft für sich, diese He-ral-dik, oder wie das heißt.“
„Die was?“
„Die He-ral-dik. Das ist die Wissenschaft von der Wappenkunde. Das haste wohl nicht gewusst!“
„Nein.“
„Ihr sucht doch nach einem Wappen, oder vielleicht nicht?“
„Wappen?“
„Ich hab übrigens ein Familienwappen von uns entdeckt. Deine Vorfahren waren Rittersleute!“
„Ja, wahrscheinlich Raubritter!“
Der Senior machte eine wegwerfende Handbewegung. „Du interessierst dich ja für überhaupt nichts.“
„Vater, im Gegensatz zu dir suchen wir nicht aus purer Langeweile im Internet nach einem Familienwappen, sondern wir gehen professionell an die ganze Sache ran. Schließlich ist diese merkwürdige Tätowierung eine ganz wichtige Spur. Vor allem dieses Motiv.“
„Ja, ja, ich weiß, das war ja in der Zeitung“, entgegnete Jacob Tannenberg. „So eins mit einem Löwen und einem Anker.“
„Genau.“
„Das könnte aber doch auch ein Wappen sein.“
„Könnte sein. Bist du denn auf irgendwas gestoßen, das so ähnlich aussieht?“
„Nein, bis jetzt noch nicht.“
„Komm, Vater, dann lass es jetzt mal gut sein. Ich bin wirklich hundemüde. Verschon mich bitte mit diesem beruflichen Kram. Schließlich hab auch ich mal Feierabend!“
Aber der Senior ließ sich von dieser flehentlich vorgetragenen Bitte seines jüngsten Sohnes nicht im Geringsten beeindrucken. „Also, ich hab im Internet auch über Tätowierungen nachgeforscht.“ Er richtete sich auf, ging einen Schritt auf Tannenberg zu, bildete mit seinen von welker Haut überzogenen Händen einen Trichter und ergänzte mit leiser Stimme: „Wo die sich das überall hinmachen lassen. Wolfram, was ich da so alles gesehen hab!“
„Ich weiß, Vater“, antwortete Tannenberg, formte aus seinen Händen ebenfalls eine Art Flüstertüte und fügte betont laut hinzu: „Das ist aber gar nichts, gegenüber dem, was sich die Jugendlichen heute sonst so alles an Schweinereien im Internet anschauen – gell, Tobi?“
„Weiß nicht, was du meinst, Onkel Wolf“, kam prompt die Antwort zurück.
Jacob Tannenberg schien dieses Thema als nicht unbedingt vertiefungswürdig zu erachten, deshalb unternahm er sogleich den Versuch, das Gespräch wieder in andere, weniger delikate Bahnen zu lenken: „Das mit dem Anker deutet bestimmt darauf hin, dass die beiden Toten vom Heiligenbergtunnel irgendwas mit dem Meer zu tun hatten. Vielleicht waren sie Matrosen oder Fischer …“
„Du wirst es nicht glauben, aber auf die Idee ist sogar schon die Kriminalpolizei gekommen.“
„Ach so, das wisst ihr schon? … Aber denk dran, mein Junge: Die Uhr tickt. Und wenn ich die Wette verliere, bringt mich deine Mutter um. Dann darfst du höchstpersönlich den Mord an deinem armen alten Vater aufklären!“
„Das wär kein Mord. In deinem Fall würde bestimmt sogar selbst der Herr Oberstaatsanwalt von sich aus auf Notwehr plädieren!“, bemerkte der Leiter des K1 trocken und wollte sich umgehend ins Treppenhaus flüchten, als aus Richtung des Innenhofs ein markdurchdringender, gellender Schrei die gerade eben kurzzeitig eingekehrte Stille abrupt zerstörte.
Aber es war kein normaler Schrei.
Es war einer von dieser unvergleichlichen, animalischen Sorte; einer von denen, die nur Menschen in psychischen Extremsituationen auszustoßen in der Lage sind.
Einer, der sich wie ein plötzlich ausbrechender Vulkan mit unbändiger Naturgewalt einen direkten Weg aus den abgelegensten Regionen des Unterbewusstseins nach draußen bahnt: Emotion pur – tief aus dem Innersten, ungeschminkt, ohne jegliche Rücksicht auf kulturelle Fesseln.
Sofort stürmten die drei Männer ans Fenster. Tannenberg zerrte den engmaschigen Vorhang zur Seite, riss das Holzfenster auf. Ein Blumentopf stürzte zu Boden, zerbrach in mehrere Teile. Der Fensterflügel schlug mit lautem Knall an den Computermonitor.
Dann sahen sie Marieke.
Wie gerade zur Salzsäule erstarrt, stand sie in der linken Ecke des gepflasterten Innenhofs direkt neben ihrem feuerroten Scooter, in Ohrhöhe das Handy in der geschlossenen Faust, den Kopf in den Nacken geworfen.
Tobias kletterte aus dem Fenster der Parterrewohnung. Tannenberg stieß seinen seitlich hinter ihm stehenden Vater ziemlich unsanft zur Seite und rannte mit fliegenden Beinen nach draußen.
Als er seine Nichte erreichte, hatte
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