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Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Titel: Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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anscheinend durch die laute Hardrock-Musik so sehr geschockt worden, dass sie ihn für eine Weile mit ihren Foltermaßnahmen in Ruhe gelassen hatten. Aber als Tannenberg die Kopfhörer abzog, waren sie plötzlich wieder da. Also begab er sich schlurfenden Schrittes ins Bad an den Medikamentenschrank und warf sich zwei Aspirin ein.
    Danach fühlte er sich allerdings immer noch nicht sonderlich gut. Zwar etwas besser, aber eben noch nicht gut. Was ja schließlich auch kein Wunder war, wenn man ihn ein wenig näher kannte. Und er kannte sich nun mal recht gut, meinte er jedenfalls.
    Aber obwohl er sich sehr gut zu kennen glaubte, schaffte er es einfach nicht, ein probates Gegenmittel zu entwickeln, um den privaten und beruflichen Frust daran zu hindern, immer und immer wieder tiefe Rillen in seine dünnhäutige Persönlichkeit einzufräsen. Er wurde den Eindruck nicht los, dass, je mehr er dagegen ankämpfte, umso länger in das dunkle Kellerverlies der Depression eingesperrt wurde.
    Er versuchte die aufkeimenden Gedanken zu vertreiben, weil er aus Erfahrung genau wusste, dass es ihm nur sehr schwer gelingen würde, diese ungebetenen Geister der Antriebslosigkeit wieder zu verscheuchen, wenn sie erst einmal von ihm Besitz ergriffen hatten. Manchmal gelang es ihm. Oft jedoch hatte er es in der Vergangenheit nicht geschafft, sondern sich den finsteren Mächten des Schicksals kampflos ergeben, sich auf seine Couch gelümmelt, mit Alkohol zugeschüttet und mit glasigen, leeren Augen stundenlang apathisch auf den Flimmerkasten gestarrt.
    Erst der Wecker am nächsten Morgen hatte mit einem brutalen Axthieb dieses engmaschige Netz der Lethargie zerschlagen, in dem er bis dahin hilflos gefangen gewesen war.
    Als Lea noch lebte, war alles anders gewesen, ganz anders. Sie hatte ihn mit ihrem dynamischen, lebensfrohen Wesen erst gar nicht in das Schattenreich der Depression abgleiten lassen, sondern ihn mitgerissen in ihre fröhliche, zukunftsoptimistische Welt.
    Ich schaffe es immer nur, wenn es mir wieder gut geht, mir vorzunehmen, dass ich mich beim nächsten Mal nicht hängen lasse. Aber diese guten Vorsätze sind Ruckzuck weg, wenn es mir wieder schlechter geht, gestand er sich ebenso ehrlich wie hilflos ein. Dann kann ich eben die Freizeit nicht genießen und ein Buch lesen oder mich zu einer kleinen Reise in eine andere Stadt aufraffen. Dann hänge ich nur wieder apathisch in den Seilen – verdammt! Warum bin ich nur so, wie ich bin?
    „Wolfi, komm jetzt endlich! Das Essen steht schon auf dem Tisch!“, rief Margot Tannenberg vom Treppenhaus aus.
    „Hast du das kleine Mistvieh weggesperrt?“, schrie er zurück.
    „Ja, natürlich!“
    In der elterlichen Wohnküche fiel sein Vater ohne Vorwarnung gleich über ihn her: „Was ist mit meiner Wette? Hast du den Fall endlich gelöst? Du hast ja nicht mehr unendlich lang Zeit!“
    „Lass mich in Ruhe mit diesem Blödsinn!“
    „Hört sofort auf zu streiten! Heute ist Feiertag und da wird nicht gestritten!“, stellte die alte Dame unmissverständlich klar.
    „Gerade heute wird gestritten!“, gab Jacob scharf zurück. „Heute ist nämlich der Tag der Arbeit! Und da geht man als alter IG-Metaller zur Mai-Kundgebung. Und da kriegen die Reichen und die Politiker von uns mal wieder einen auf den Deckel. Diese elenden Ausbeuter von uns kleinen Leuten! Aber mein Herr Sohn hat ja für so was kein Verständnis, der ist ja was Besseres: Beamter.“
    Tannenberg zog es vor, die ihm wohlbekannten Schmähungen und Klassenkampfparolen seines Vaters unkommentiert im Raum verklingen zu lassen. Er konzentrierte sich lieber auf das Mittagessen, denn inzwischen machte sich ein ausgeprägtes Hungergefühl in seiner Magengegend bemerkbar.
    Margot Tannenberg stellte den mit einem Deckel verschlossenen Topf auf die bunte Bast-Unterlage, nahm einen Schöpflöffel aus der Schublade und hob mit einer schnellen Bewegung den Metalldeckel an.
    „Wurstsuppe! Pfui Teufel!“, stöhnte Tannenberg sofort auf, als er die großen, glasigen Fettaugen oben auf der Suppe herumschwimmen sah und wandte sich angewidert ab. „Mutter, du weißt doch genau, wie sehr ich dieses Zeug hasse!“
    „Andere Menschen in diesem Haus essen so was Gutes sehr gerne! Das ist doch das Beste bei einem Schlachtfest“, bemerkte der Senior mit einem schadenfrohen Gesichtsausdruck und schöpfte sich demonstrativ zwei große Suppenlöffel voll dampfender, bräunlicher Brühe in seinen Teller.
    „Hast du denn nichts anderes für

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