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Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Titel: Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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verlassen kann.“
    Und was kann ich tun?, fragte sich Maximilian Heidenreich. Ich kann nur denken, nichts als denken!
    Nach einem grellen Blitz tauchte plötzlich das Foto einer typischen Unterrichtssituation, wie man sie aus der eigenen Schulzeit noch bestens in Erinnerung hat, vor seinem geistigen Auge auf: Der Deutschlehrer steht an seinem Pult und hält ein geschlossenes, schmales Büchlein vor sich in die Höhe. Max sah sofort, dass es sich dabei um die ›Schachnovelle‹ von Stefan Zweig handelte.
    Er dachte noch nicht einmal einen winzigen Augenblick über die Frage nach, warum ihm sein Gehirn gerade jetzt diese Szene einspielte. – Ja, es spielte mit ihm, denn es versuchte ihm auf diesem undurchsichtigen Wege die Einsicht in die Notwendigkeit zu vermitteln, sich trotz seiner im ursprünglichsten Wortsinne aussichtslosen Lage nicht ohne Gegenwehr seinem vermeintlichen Schicksal zu ergeben, sondern den Windmühlenkampf gegen das schier Übermächtige aufzunehmen.
    Maximilian wusste nicht, dass die mit einem unbändigen Überlebenswillen ausgestatteten körpereigenen Selbsterhaltungskräfte ihn zu dieser Widerstandsstrategie zwangen, aber er merkte sehr wohl, dass die lähmenden Angstzustände, die sich wie ein bleierner Vorhang über ihn gelegt hatten, allmählich immer stärker von einer aufschäumenden Aggressivität verdrängt wurden.
    Ich war Zeit meines Lebens ein Kämpfer, und ich werde auch jetzt kämpfen! Ich kann zwar nur denken. Aber solange ich denken kann, hab ich noch eine Chance, auch wenn sie noch so gering ist! – Dieser Dr. B. in der Schachnovelle hatte schließlich auch fast keine Chance gehabt!, schmetterte er trotzig seinen Widersachern entgegen.
    Auf seiner inneren Kinoleinwand wurden Ausschnitte aus der Verfilmung der Schachnovelle gezeigt. Curd Jürgens spielte den Dr. B., die Hauptrolle. Dieser schwarzweiße Streifen war, obwohl – oder vielleicht gerade deshalb – er völlig ohne die heute üblichen bombastischen Actionspektakel auskam, unglaublich spannend.
    Plötzlich schoss Maximilian eine der Fragen ins Bewusstsein, die er bei einer Kursarbeit in der Oberstufe hatte beantworten müssen: ›Erläutern Sie, mit welchen kognitiven Strategien Dr. B. seine scheinbar aussichtslose Situation meistert!‹
    Er fragte sich, ob er sich nicht in einer ähnlichen Situation befand, wie dieser Dr. B., der als Vermögensverwalter österreichischer Klöster von der Gestapo verhaftet und in einem hermetisch abgeriegelten Hotelzimmer eingesperrt worden war. Bis auf die Verhöre völlig von der Außenwelt isoliert und ohne jegliche intellektuelle Anregung, also ohne Zeitungen, Bücher und dergleichen, schien es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis diese Haftbedingungen ihn unweigerlich psychisch zerbrechen würden.
    Obwohl er sich diesem vollständigen geistigen Vakuum zunächst mit allen Mitteln entgegenzustemmen versuchte, verlieh ihm erst ein Schachbuch, das er während eines Verhörs einem Wachmann gestohlen hatte, jene beeindruckende psychische Widerstandskraft, die ihn letztendlich rettete.
    Aus Brotresten formte er sich Schachfiguren, mit denen er dann auf seiner karierten Bettdecke die im Buch abgedruckten Partien nachspielte und sich mit der Zeit so enorm verbesserte, dass es ihm auf einer späteren Schiffsreise sogar gelang, den amtierenden Weltmeister zu schlagen.
    Aber es gibt doch einen entscheidenden Unterschied zwischen Dr. B. und mir: Er war zumindest in der Lage, sich zu bewegen, ein Buch zu stehlen – er konnte also wirklich aktiv etwas tun, und zwar kämpfen! Und was kann ich? Außer denken, kann ich gar nichts: nicht gehen, nicht reden, nicht sehen. – Ich hab doch keine Chance! Ich will eigentlich nur noch schlafen …
    Schlafes Bruder ist der Tod!, hörte er plötzlich einen brachialen Urschrei aus den unergründlichen Tiefen seiner geknechteten Seele ertönen.

14
    Tannenberg wurde an diesem Donnerstagmorgen gegen 8 Uhr von hysterischem Hundegebell geweckt. Übellaunig tastete er nach dem zweiten Kopfkissen, schob es über sein freiliegendes rechtes Ohr und versuchte mit diesem großformatigen Ohropax-Ersatz die ungebetene frühmorgendliche Reizüberflutung zumindest ein wenig abzumildern.
    Doch wie durch ein Wunder verstummte auf einmal das aufdringliche Geräusch. Sofort versuchten die mächtigen Geister des Schlafes ihn zurück in ihr wundersames Reich zu ziehen.
    Aber urplötzlich riss er das Kissen von seinem Kopf, blickte erschrocken auf die Leuchtziffern seines

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