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Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Titel: Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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Telefongesprächs war ihm klar, dass er sich mit diesem Spontanentschluss einige gravierende Probleme eingehandelt hatte: Das erste war eher diffuser Art und auf der mentalen Ebene angesiedelt. Es bestand darin, dass Tannenberg eigentlich überhaupt keine Lust auf solch einen Event hatte. Nach dem Besuch der Schlossklinik war er ganz und gar nicht in Stimmung für so etwas. Er wäre viel lieber zu Hause geblieben, hätte sich vor den Fernseher gefläzt und sich intensiv mit seinem geliebten Vino rosso beschäftigt. Aber er wollte es sich ja schließlich mit Ellen Herdecke nicht verscherzen.
    Das zweite Problem dagegen war konkreter und weitaus gegenständlicherer Natur: Er hatte nämlich kein anständiges Sakko für solch einen etwas festlicheren Anlass.
    Was tun?, fragte er sich. – Heiner! Ja, das ist die Lösung! Der hat garantiert so’n Ding! Der geht ja mit Elsbeth regelmäßig zu allen möglichen so genannten Kulturveranstaltungen. Als progressives Lehrerehepaar gehört man ja quasi automatisch zur Boheme. Und da muss man sich eben so oft es nur geht diesen aufgeblasenen Selbstdarstellungs- und Schwafel-Kaspern zeigen und ihnen vorzuführen, wie unglaublich gebildet und kultiviert man selbst ist. Diese elenden, arroganten Labersäcke!
    Sogleich machte er sich auf den Weg ins Südhaus, wo er doch tatsächlich im sehr gut bestückten Kleiderschrank seines Bruders ein passendes Exemplar für sich fand.
    Die neugierigen, bohrenden Fragen Heiners nach dem Anlass für diese ›Maskerade‹, wie er es wörtlich nannte, schmetterte Tannenberg mit der mehrmals vorgetragenen Erklärung ab, dass ihn gerade ein alter Kumpel aus Saarbrücken angerufen und ihn spontan zum Essen in ein Nobelrestaurant eingeladen habe.
     
    Ellen erwartete ihn bereits ungeduldig, als er kurz nach 19 Uhr 30 vor dem Seiteneingang der Fruchthalle eintraf, in deren Foyer die Veranstaltung stattfinden sollte.
    „Guten Abend, Herr Tannenberg, kommen Sie, wir gehen gleich rein. Wir müssen uns schon ein wenig beeilen, damit wir noch einen schönen Platz ergattern“, sagte sie drängend.
    Kaum hatte sich die schwere Glastür hinter ihnen geschlossen, waren sie von einer festlich gekleideten Menschenmenge umgeben, die Einlass in den hinteren Teil des Foyers begehrte.
    Plötzlich rief Oberstaatsanwalt Dr. Hollerbach über mehrere Köpfe hinweg: „Das gibt’s doch gar nicht: Der Herr Hauptkommissar. Haben Sie sich nicht verlaufen? Sie und Kultur? Das passt doch überhaupt nicht zusammen!“
    Tannenberg wäre am liebsten im Erdboden versunken. Eine explosive Mischung aus Scham und aufloderndem Zorn rötete sein Gesicht. Aber er kam gar nicht dazu, sich irgendwelche Rachestrategien auszudenken, denn wie aus dem Nichts stand auf einmal Bruder Heiner in Begleitung seiner Gattin hinter ihm, stieß ihn an.
    „Aha, das ist also deine Einladung in Saarbrücken bei einem alten Freund. – Sag mal, hast du’n neues Sakko? Das kenne ich ja noch gar nicht.“ Sein Blick wanderte prüfend von oben nach unten. „Steht dir eigentlich gar nicht schlecht. Solltest öfter mal so was Schickes anziehen. Findest du nicht auch Betty?“
    „Doch, doch.“ Auch sie schickte ihre Augen auf Inspektionsreise, ging sogar einen Schritt zurück, betrachtete ihn zusätzlich von der Seite. „Das stimmt wirklich. – Aber ich hätte nie gedacht, dass dein Bruder sich in so eine Veranstaltung verirrt. Manchmal geschehen eben noch Zeichen und Wunder!“
    Tannenberg war gelähmt, schockgefrostet, sprachunfähig.
    „Willst du uns denn nicht vorstellen, du alter Tölpel?“, fuhr seine Lieblingsschwägerin keifend fort.
    „Was? … Vorstellen …?“
    „Ja, vorstellen.“ Betty schüttelte den Kopf, zog abschätzig die Augenbrauen nach oben. Dann streckte sie Ellen die Hand entgegen: „Hallo, ich bin Betty Tannenberg, die bemitleidenswerte Schwägerin dieses ungehobelten Herrn neben Ihnen.“
    „Und ich bin sein Bruder, Heiner Tannenberg. Nett, Sie kennen zu lernen.“
    „Freut mich sehr. Mein Name ist Ellen Herdecke. Ich bin eine alte Bekannte dieses kulturbegeisterten Herrn hier.“ Sie schien Mitleid mit Tannenberg zu haben, hakte ihn unter. „Hätten Sie nicht Lust, nachher mit uns noch irgendwo hin zu gehen und ein Glas Wein zu trinken?“
    Dieser Vorschlag traf sofort auf einhellige Zustimmung, sieht man einmal von Wolfram Tannenberg ab, der als leblose Staffage einem unwirklichen Gruselkabinett beiwohnte und sich anschließend wie ein geistig weggetretener

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