Ohnmachtspiele
hinaus.
„Ich hatte gestern das Vergnügen, mit dem Polizeipräsidenten und dem Innenminister zu Abend zu essen“, begann er das Gespräch.
„Und? Hat wenigstens das Essen geschmeckt?“
Kamp drehte sich um und sah Schäfer durchdringend an.
„Hirschrücken … war ganz in Ordnung.“ Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch, deutete Schäfer, Platz zu nehmen, schaute an die Decke und seufzte.
„Es geht um die Statistik“, sagte er schließlich und sah Schäfer in die Augen.
„Zahlen … nicht schon wieder.“
„Doch, schon wieder … die Reform, das ‚Jahrhundertprojekt‘, wie Minister Stöger meint, zeigt nicht den Erfolg, den er sich erwartet hat.“
„Na ja … Hitler war mit dem Zweiten Weltkrieg schlussendlich auch nicht ganz zufrieden.“
„Sparen Sie sich solche Bemerkungen, Major.“ Kamp richtete sich in seinem Sessel auf und stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch. „Wir wissen intern alle, woran wir sind und was der Minister mit dieser Reform angerichtet hat. Das alles ist eine … nun gut, auf jeden Fall wollen die Herren zum Jahreswechsel Bilanz ziehen und bei den Ressorts, die am meisten Öffentlichkeit haben, Verbesserungen präsentieren.“
„Die haben wir nicht.“
„Das ist mir auch klar. Es geht hier auch nicht um … Wirklichkeiten, sondern um eine Erfassung, die ein positives Licht auf unsere Arbeit und vor allem auf die Reform wirft.“
„Bilanzfälschung“, sagte Schäfer trocken. Kamp warf ihm einen leeren Blick zu, erhob sich aus seinem Sessel und ging wieder zum Fenster.
„Einbruch, Raub, Gewaltdelikte, das interessiert die Medien, und hier will der Innenminister zumindest keine Verschlechterung zum Vorjahr.“
„Und was heißt das für uns? Dass wir ein Leichenranking machen und die Toten, die keinem auffallen, verschwinden lassen? Mit der Bestattungsnovelle fallen sowieso genug Fremdtötungen unter den Tisch …“
„Das ist nicht belegt …“
„Na, wie soll auch belegt sein, was niemand belegen kann, weil nicht obduziert wird?“, machte Schäfer den Oberst auf diesen Widerspruch aufmerksam.
„Wie auch immer“, erwiderte Kamp müde, „es geht darum, Prioritäten zu setzen … vor allem im Hinblick auf unsere eingeschränkten Ressourcen. Der Fall dieser jungen Frau beispielsweise …“
„Sonja Ziermann …“
„Richtig. Das war offensichtlich ein Unfall“, sagte Kamp und fuhr nach einer Pause fort: „Ich kenne Sie jetzt lange genug, Schäfer, und ich weiß, wie Sie sich in einen Fall verbeißen können. Das ist auch genau das, was ich von einem guten Polizisten erwarte, aber …“
„Aber zum Jahresende hin schreiben wir ab, was wir abschreiben können, schauen, was als Selbstmord, Unfall oder natürlich durchgehen könnte, und machen dem Stöger ein nettes Weihnachtsgeschenk aus strahlenden Zahlen. Das ist keine Kriminalarbeit, das ist Politik.“
„Und was glauben Sie, wo Sie sich hier befinden? Auf Gut Schäfersloh? Diese Anweisungen kommen nicht von mir, das wissen Sie. Und Sie wissen auch, dass es eine Befehlskette gibt und in welche Richtung die verläuft. Also räumen Sie bitte Ihre Akten auf, schließen Sie diesen Fall ab, bringen Sie diese beiden Fälle vom Sommer ins Reine, setzen Sie Ihre Leute auf die wesentlichen Aufgaben an und unterstützen Sie mich, so gut Sie können, um diesem Chaos hier Herr zu werden. Ich habe Sie oft genug gedeckt, Schäfer, ohne mich hätten sie allein in den letzten beiden Monaten zwei Disziplinarverfahren am Hals gehabt, also springen Sie jetzt einmal über Ihren Schatten und befolgen Sie die Instruktionen. In zwei Jahren sind Wahlen, da kann alles wieder ganz anders aussehen. Bis dahin heißt es durchhalten.“
„Wahlen, ja … das haben wir beim letzten schwarzen Innenminister auch gehofft, dass es nach den Wahlen besser wird … und? Der neue ist noch der größere Idiot … diese ignoranten, bornierten …“
„Darüber können wir gern einmal außerhalb der Dienstzeit reden, Major“, unterbrach ihn Kamp, „seien Sie ein bisschen vorsichtiger mit solchen Äußerungen.“ Dann setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch und schlug eine Aktenmappe auf.
Schäfer stand auf, verabschiedete sich und verließ das Büro. Er stieg in den Fahrstuhl, wartete, bis sich die Tür geschlossen hatte und schlug dann mit der flachen Hand ein paar Mal kräftig gegen die Metallverkleidung. Arschlöcher! Doch was konnte Kamp dafür? Der war ja noch schlimmer dran … der musste diesem Arschgesicht
Weitere Kostenlose Bücher