Ohnmachtspiele
drehte sich wieder um.
„Sicher, Herr Inspektor. Informationszeitalter“, erwiderte der Mann und zog stolz ein Mobiltelefon aus seiner Kunstlederjacke.
„Und die Nummer?“, fragte Schäfer und nahm sein eigenes Telefon heraus.
„Na, die hab ich nicht“, wurde der Mann kleinlaut.
„So, Jungs, jetzt reicht’s mir. Entweder ihr nennt mir jetzt wen, der die Nummer hat, oder ich setze mich da drüben ins Café und ihr sucht mir den Hauser – und wenn’s Mitternacht wird.“
„Die alte Czerny, die hat die Nummer sicher“, meinte der Standbesitzer nach einer Nachdenkpause, „der Wagerl geht immer für sie einkaufen, weil sie’s mit den Knien hat und die Stiegen nicht mehr so gut schafft.“
„Und die wohnt wo, die Czerny?“
„Gleich da hinten, am Spittelauer Platz, über dem Fetzengeschäft.“
„Das ging ja schnell heute … wenn ich ihn finde, gebe ich eine Runde aus … Preiselbeersaft.“
Als er das Haus gefunden hatte, ging Schäfer die Namen der Bewohner neben der Eingangstür durch und läutete bei Czerny.
„Ja, bitte?“, kam es schwach aus der Gegensprechanlage.
„Grüß Gott, Frau Czerny“, rief Schäfer, „hier ist Major Schäfer von der Kriminalpolizei.“
„Polizei?“, wiederholte die Frau aufgeregt.
„Genau … ich bräuchte eine Auskunft von Ihnen, und zwar die Telefonnummer vom Wagerl …“
„Die Nummer von wem?“
„Von dem Mann, der Ihnen immer wieder die Einkäufe macht …“
„Ach, der Hansi, ja.“ Jetzt klang die Frau erleichtert. „Warten Sie, Herr Inspektor, ich mache Ihnen auf.“
Hauser, Hermes, Hansi, Wagerl … in welcher Stadt lebe ich eigentlich, dachte Schäfer, während er die Treppen hochstieg, bis er im vierten Stock das richtige Namensschild gefunden hatte. Er läutete abermals und wartete, bis Frau Czerny alle Sicherheitsschlösser und -riegel geöffnet hatte.
„Kommen Sie herein“, sagte sie freundlich und ließ Schäfer eintreten, „also, was wollen Sie vom Hansi?“
„Nur seine Telefonnummer“, sagte Schäfer, worauf die Frau ins Wohnzimmer ging und kurz darauf mit einem gebundenen Notizbuch wiederkam. Sie setzte die Brille auf, die sie um den Hals hängen hatte, schlug das Buch auf und zeigte auf eine Nummer, neben der kein Name stand. Schäfer nahm sein Telefon heraus und speicherte die Nummer ein. Dann setzte er sich auf den einzigen Stuhl im Vorraum und drückte die Anruftaste.
„Ja“, meldete sich eine heisere Stimme.
„Wer ist da?“, fragte Schäfer nach. Er war zwar so gut wie sicher, dass er Hauser am Telefon hatte, aber er wollte unbedingt wissen, wie sich dieser selbst nannte.
„Na, wen hast du angerufen?“, verdarb ihm Hauser den Spaß.
„Servus, Hauser … der Major von der Mordkommission, erinnerst du dich?“
„Schäfer … ich erinnere mich an alles.“
„Bestimmt … wo bist du denn gerade?“
„Wer will das wissen?“
„Ich“, erwiderte Schäfer und begann sich mit der linken Hand die Schläfen zu massieren, „ich will dir was abkaufen.“
„Stadtpark, gegenüber vom Kursalon, in fünfzehn Minuten“, flüsterte Hauser ins Telefon und legte auf.
Schäfer starrte aufs Display, schüttelte den Kopf und stand auf.
„Vielen Dank für Ihre Hilfe“, sagte er und reichte der alten Frau die Hand, „und sperren Sie gut zu hinter mir.“
„Sicher, Herr Inspektor“, erwiderte sie und schob ihn zur Tür.
„Ähm, Frau Czerny.“ Schäfer blieb auf der Schwelle stehen. „Warum sagen Sie zum … also warum nennen Sie den Hansi Hansi?“
„So hat mein Mann geheißen … ich merke mir ja sonst keine Namen mehr.“
Schäfer ging zurück zur Friedensbrücke, stieg in die U-Bahn ein und fuhr bis zur Landstraße. Von dort waren es nur ein paar Gehminuten zu dem von Hauser angegebenen Treffpunkt. Er setzte sich auf eine Parkbank und hatte sich eben erst eine Zigarette angezündet, als er Hauser auf dem Fahrradweg in seine Richtung kommen sah. Mit einem übergroßen Militärparker und einer Nadelstreifenhose bekleidet, schob er einen Einkaufswagen vor sich her, der bis über den Rand vollgepackt war mit Kleidungsstücken, Lebensmitteln, Klopapier, Magazinen, Blumen und diversen Haushaltsartikeln – aber nicht in dreckiger Unordnung, wie man es bei Obdachlosen gewöhnlich sah, sondern in einer Ordnung, die an einen skurrilen, fahrenden Bauchladen erinnerte; wobei Schäfer genau wusste, dass sowohl Herkunft als auch Weitergabe der Ware nicht immer gesetzeskonform war. Aber das Gesetz ging ja auch nicht
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