Ohnmachtspiele
das Haus verließen, war es halb sechs. Sie hatten sich gegen eine Untersuchungshaft entschieden, da der Ehemann bereitwillig mit ihnen kooperierte und auch nichts darauf hinwies, dass er sich absetzen würde. Zudem war er ihnen am Tisch eingeschlafen, worauf sie ihn ins Bett geschickt hatten. Schäfer hingegen fühlte sich nach einem zwischenzeitlichen Einbruch aufgekratzt. Es war sinnlos, sich jetzt noch hinzulegen, das würde ihn noch müder machen, also fragte er Bergmann, ob er mit ihm am Naschmarkt frühstücken wolle.
Sie wählten ein Kaffeehaus, in dem sich um diese Zeit gewöhnlich die Übriggebliebenen der Nacht mit den ersten Früharbeitern mischten. Die Speisekarte war auf dieses Publikum abgestimmt, weshalb es neben dem klassischen Frühstück auch Heringssalat, Leberknödelsuppe und dergleichen gab. Sie setzten sich an einen freien Tisch und gaben ihre Bestellung auf. Auf die übliche Scherzfrage der alten Kaffeehausbesitzerin – warum macht ihr so ein ernstes Gesicht, ist jemand gestorben? – reagierten sie mit dem üblichen gezwungenen Grinsen. Wenigstens bekamen sie immer extragroße Portionen und den zweiten Kaffee gratis.
„Was halten Sie von ihm?“, wollte Schäfer wissen.
„Rudenz? Na ja, bieder. Bestimmt intelligent, aber ein großes Maß an krimineller Energie wäre mir nicht aufgefallen. Ein komisches Gefühl habe ich …“
„Wieso?“
„Diese Geschichte ist so … na ja, sie haben wieder mal Streit, er verlässt das Haus, fährt zu einer Freundin, von der wir annehmen können, dass sie mit ihm schläft, dann kommt er zurück, das Bad ist verschlossen …“
„Zu schematisch?“
„Ja … das ist sogar mir irgendwie zu … präzise.“
„Na ja … er ist technischer Zeichner, passt doch.“
„Aber er ist nicht dumm.“ Bergmann lehnte sich zurück, damit die Wirtin das Frühstück abstellen konnte.
„Außerdem hat er ein gutes Motiv. Das Haus und das Vermögen, das von ihren Eltern kommt, geht an ihn …“
„Und eine Geliebte macht sich auch nicht gerade gut. Aber wenn seine Frau gestorben ist, als er noch bei seiner Freundin war, sieht wieder alles anders aus …“
„Wann haben die eigentlich aufgehört, ordentliche Semmeln zu machen?“, fragte Schäfer kauend. „Früher war eine Semmel gutes weißes Brot in Semmelform. Und jetzt?“, er brach ein Stück ab, „zerfällt das alles, schauen Sie sich das an, schaut aus wie Dämmstoff … ohne was dazu schmeckt so eine Semmel nicht mehr … die taugt nur noch als Furnier für ein paar Wurstscheiben oder zum Auftunken der Gulaschsuppe. Dabei wäre gerade jetzt die beste Tageszeit für frische Semmeln.“
„Die backen das mittlerweile doch alles selbst … bekommt man tiefgefroren, dann rein in den Ofen und fertig.“
„In einem normalen Backrohr?“
„Sicher … mach ich auch manchmal am Sonntag.“
„Aber das ist doch nicht gut“, wunderte sich Schäfer.
„Na ja … aber frisch.“
„Eine gute Semmel hat früher auch locker einen Tag lang gehalten … dann war sie halt ein bisschen rescher.“
„Die Zeiten ändern sich“, stellte Bergmann fest und winkte die Wirtin heran, um Kaffee nachzubestellen.
Als Föhring anrief, schlief Schäfer auf der Couch im Büro. Bis vier Uhr nachmittags hatte er sich mit viel Kaffee und konzentrierter Arbeit wach halten können – dann war der Einbruch gekommen. Jetzt war es halb sieben, Schäfer richtete sich auf wie Dracula in seinem Sarg und drehte den Kopf von links nach rechts, um die Starre im Genick zu lösen. Dann nahm er den Hörer ab.
Wie der junge Gerichtsmediziner so schnell arbeiten konnte, war ihm ein Rätsel. Amphetamine? Beizeiten musste er Koller darauf ansprechen – schnelle Ergebnisse in Ehren, aber wenn sie nicht fehlerfrei waren, wartete er lieber ein paar Tage länger. Wie auch immer: Er fuhr seinen Computer herunter, zog seinen Mantel an und machte sich auf den Weg ins AKH.
„So, Herr Major … wie ausführlich wollen Sie es haben?“, fragte Föhring, dessen bleiche Gesichtsfarbe durch das Neonlicht noch gespenstischer wirkte.
„Sagen Sie mir, wann sie gestorben ist, warum, und was Sie sonst noch für spannend halten.“ Schäfer gähnte und setzte sich auf eine freie Bahre.
„Also, den Todeszeitpunkt würde ich zwischen einundzwanzig und zweiundzwanzig Uhr ansetzen … dass sie ertrunken ist, war ohnehin klar. Allerdings – und jetzt bitte eine Woche zurückspringen – ein wenig anders als Frau Ziermann, die einen ganz typischen
Weitere Kostenlose Bücher