Ohnmachtspiele
Sie mir sagen, wer dieses Buch in den letzten Monaten ausgeliehen hat?“, wollte er wissen.
„Dazu bedarf es einer Verfügung“, entgegnete sie und fuhr fort, auf ihre Tastatur einzuklopfen. Schäfer war sich sicher, dass auf dem Bildschirm so etwas wie lkfugdsfölqkvhlwfährfgiheqäfhiegerfipä zu lesen wäre, blieb aber dennoch ruhig.
„Kein Problem“, meinte er, „doch vielleicht können Sie kurz nachschauen, ob eine Studentin namens Laura Rudenz das Buch ausgeliehen hat?“
„Die junge Frau, die ermordet worden ist?“, zeigte sie sich plötzlich interessiert.
„Genau die … auch wenn die Todesursache noch unklar ist.“
Die Frau schaute ihn einen Augenblick an und wandte sich wieder ihrem Computer zu.
„Nein … tut mir leid …“, sagte sie einen Augenblick später.
„Und die Bücher, die sich Frau Rudenz im letzten Jahr ausgeliehen hat … ist es möglich, dass …“
Die Bibliothekarin bearbeitete erneut ihren Computer; ein paar Minuten später verließen vier Seiten den Drucker.
„Von mir haben Sie das nicht“, erklärte sie und spielte eine strenge Miene.
„Ein anonymer Zusender“, meinte Schäfer, „bei dem sich die Kriminalpolizei Wien herzlich bedankt. Sind irgendwelche von den Büchern da auf Lager?“
Mit einem freundlichen Seufzer ging die Frau ihre Dateien durch und meinte, dass er zwei mitnehmen könne; die anderen wären wahrscheinlich erst in der Folgewoche verfügbar.
Obwohl er die Liste und die beiden Bücher so schnell wie möglich durchsehen wollte, setzte er sich nicht in die Uni-Cafeteria, sondern wählte ein kleines schäbiges Kaffeehaus hinter der Schottenbastei. Er bestellte ein Cola, wartete, bis der Kellner das Glas abgestellt hatte, und widmete sich dem Ausdruck. Wenn er sich nicht täuschte, standen die zwei Bücher auf der Liste, die er auf dem Nachtkästchen von Laura Rudenz gesehen hatte. Dass sie das Buch über Todesermittlungen nicht ausgeliehen hatte, musste nichts heißen. Die Taschenbuchausgabe war im Vergleich zu anderen juristischen Büchern geradezu ein Schnäppchen. Außerdem waren solche Fälle bestimmt auch im Internet und in anderen Quellen dokumentiert – da konnte er Schreyer darauf ansetzen, diesen autistischen Grenzfall. Was hatte sie sonst noch gelesen: Strafgesetz, Europarecht, dazu die beiden Lehrbücher für angehende Untersuchungsrichter, die ihm die Bibliothekarin mitgegeben hatte. Er sah die Bücher flüchtig durch, unklare Todesfälle aus ganz Europa, der jüngste datierte aus dem Jahr 1996, Stichwunden, Drosselmale, aufgeschnittene Carotis, und da, was für ein Zufall, Hauptkommissar Ballas, der Mann, den Schäfer vor Kollers Haus angetroffen hatte, zehn Jahre jünger, aber mit derselben Lederjacke. Ermittlung zu einem Raubüberfall in Budapest, Botschaftergattin Irene Chlapec in der eigenen Wohnung erschossen, na ja, Schäfer klappte das Buch zu und legte es auf den Tisch. Dann griff er zu seinem Handy und gab die Nummer ein, die er von seinem Assistenten erhalten hatte.
Nein, in den folgenden Tagen könne sie sich leider nicht mit ihm treffen, da sie beruflich in Italien zu tun habe. Was sie denn arbeite? In der Modebranche, in Mailand wäre eine wichtige Messe. Laura Rudenz, die Anspielung, dass sie verliebt gewesen sei. Ja, oder zumindest wäre ihr etwas passiert, das ihrem Leben wieder Auftrieb gegeben hätte; aber das hätte sie bestimmt erzählt. Und warum hätte sie einen Liebhaber geheim halten sollen? Vielleicht wegen der anstehenden Scheidung; oder weil derjenige es nicht wollte, vielleicht war er ebenfalls verheiratet. Ihre Familie? Nein, das wäre ausgeschlossen; schon ein wenig seltsam, aber eben konservative Wiener Unternehmer, bieder, aber ehrenhaft. Ehrenhaft? Nun ja, böse gesagt: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, Streit, ja, ein Familienmitglied töten, niemals. Ob es Freunde gäbe, zu der sie ein ähnlich vertrauensvolles Verhältnis gehabt hätte? Nicht, dass sie wüsste, ihr Kontakt wäre seit der Schulzeit nur mehr ein sporadischer, eher zufälliger gewesen, da könne sie ihm leider nicht weiterhelfen. Er müsse sie jetzt entschuldigen, ihr Flug würde eben aufgerufen. Danke für das Gespräch.
Er bezahlte und ging zurück ins Kommissariat, wo er umgehend Strasser in sein Büro rief. Der setzte sich und legt Schäfer eine geöffnete Flügelmappe auf den Schreibtisch.
„Aufgrund der fremden Lackspuren und Beschädigungen auf der Fahrerseite ist es gut möglich, dass der Wagen von der Straße
Weitere Kostenlose Bücher