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Ohnmachtspiele

Ohnmachtspiele

Titel: Ohnmachtspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Haderer
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Abteilplatz in der ersten Klasse reserviert. Der Zug war überfüllt und auf Schäfers Platz saß ein junger Mann, der offensichtlich den Reservierungszettel aus dem kleinen Sichtfenster genommen hatte, um die minimale Wahrscheinlichkeit auf einen Sitzplatz zu vergrößern. Schäfer bemühte sich erst gar nicht, seine Reservierung zu finden. Er zog seinen Dienstausweis und sagte dem Mann, dass er sich verziehen solle. Im Nachhinein bedauerte er sein grobes Verhalten. Warum war er überhaupt so schlecht aufgelegt? Er würde drei Tage bei seiner Familie in Tirol sein. Mit seinem Bruder Skitouren unternehmen. Viel lesen. Viel schlafen. Abstand gewinnen. Er hatte sich darauf gefreut. Doch jetzt wollte er nicht mehr weg aus Wien. Nicht nach der letzten Nacht mit Isabelle. Wo ihm am Morgen klar geworden war, wie gern er sie hatte; wo sich nicht sofort sein Fluchtinstinkt gemeldet hatte. Ob sie dasselbe für ihn empfand, darüber war er sich noch nicht im Klaren. Auf jeden Fall war sie selbstsicherer als er. Und erneut der Gedanke, dass er möglicherweise nur eine Affäre für sie war. Ihre Karriere bedeutete ihr viel, das stand außer Zweifel. Aber warum sollte er sich jetzt schon Gedanken über das Scheitern einer Beziehung machen, die erst im Entstehen war? Und da Isabelle ohnehin zu ihrer Familie in die Steiermark fuhr, wäre es auch umsonst, in Wien zu bleiben, das leuchtete ihm schon ein … aber die letzten Tage … es war, als hätte er plötzlich zehn Kilo abgenommen, so leicht fühlte er sich … es war nicht wie mit seiner letzten Beziehung … mit Kerstin Unseld … in Kitzbühel … das war ja eine Affäre und keine Beziehung gewesen … aber immerhin die letzte Frau, mit der er geschlafen hatte … das schien ihm eine Ewigkeit her zu sein … vielleicht war dadurch ein Vakuum entstanden, das jetzt gierig alles aufsog, was er an Zuneigung bekommen konnte … er musste vorsichtig sein … musste es langsamer angehen …
    Das Telefon riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah aufs Display: Maria, ewige Liebe seiner Jugend und darüber hinaus. Was wollte denn die jetzt? Er überlegte einen Moment und drückte auf die Empfangstaste.
    „Das ist aber eine Überraschung“, sagte er, „hast du ein Geschenk vergessen, das ich dir in Wien besorgen und mitnehmen soll?“
    „Ganz sicher“, erwiderte Maria lachend, „da wärst du bestimmt der Erste, den ich fragen würde …“
    „Na, was gibt’s?“, fragte er leicht gekränkt.
    „Nichts Bestimmtes … ich wollte nur wissen, ob du zu Weihnachten hier bist und vorbeischauen willst …“
    „Wann hast du dir das gedacht?“
    „Wie?“
    „Wann du daran gedacht hast, mich anzurufen und das zu fragen?“
    „Jetzt eben … ist mir halt so eingefallen … weil Weihnachten ist und wir uns so lang nicht gesehen haben … so halt … was ist daran so außergewöhnlich?“
    „Dass du mich seit sicher einem halben Jahr nicht angerufen hast … und dass ich es seltsam finde, dass du ausgerechnet jetzt anrufst …“
    „Warum ist das seltsam? Seltsam finde ich, dass du mich so anfährst, nur weil ich dich anrufe und frage, ob du uns besuchen willst …“
    „Wie geht’s Katharina?“
    „Gut … war heuer zum ersten Mal Skifahren … sie macht sich gut …“
    „Na ja … kein Wunder bei den Genen … und Marc?“
    „Der ist ein bisschen gestresst … hat vor drei Tagen nach Brüssel müssen und kommt erst heute zurück … aber sonst: ganz gut … also: Meldest du dich?“
    „Ich weiß noch nicht … ich bin wahrscheinlich nur zwei Tage da und will auf den Berg …“
    „Warum bleibst du nicht länger?“
    „Liest du keine Zeitungen?“
    „Stimmt … wow … ich habe dich ja im Fernsehen gesehen … stilvoll wie immer … der Kartenmörder … das habe ich ganz vergessen …“
    „Ja, das ist das Gute am Landleben … man vergisst so leicht …“
    „Johannes … hör auf …“
    „Was heißt hör auf? Was habe ich denn gesagt?“
    „Nichts … also, ich muss jetzt auflegen … ja, Herzchen, ich bin eh gleich fertig … wenn du Lust hast, meldest du dich halt … sonst eben nicht … pass auf dich auf!“
    „Mach ich … grüß die Kleine schön.“
    „Mach ich … ciao.“
    Schäfer steckte das Telefon weg und sah aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Vorstadt. Warum rief sie genau in diesem Moment an? Er stand auf und ging zur Toilette, wo er sich eine Zigarette anzündete. Welche Wahrnehmungen jenseits der wissenschaftlichen Zugänglichkeit hatten Frauen

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