Ohrenzeugen
richtiges Alibi, immerhin könnte er die Mail auch vorgeschrieben und dann mit Outlook verschickt haben. Und dass die Uhrzeit wie die Faust aufs Auge passt, ist doch schon irgendwie verdächtig!«
»Och, wieso, viele Leute können nachts schlecht schlafen und beschäftigen sich dann noch irgendwie«, wandte Lisa ein, die den unglücklich wirkenden Witwer offenbar mochte.
»Andererseits bezweifle ich stark, dass der Held mit seiner uralten Kiste irgendwas anderes als das übliche E-Mail-Schreiben draufhat! Und wenn wir davon ausgehen, dass er die Mail wirklich um diese Zeit geschrieben hat, dann wäre das ein Alibi. Der Mord muss kurz, nachdem der Weidner aufs Grundstück gekommen ist, passiert sein. Als die Hunde gebellt haben und das war laut Karl Weidner eben um viertel zwei. Selbst torkelnd braucht er vom Silvio aus nicht länger als eine Viertelstunde, das passt ja dann«, fuhr Heiko fort.
»Ich weiß nicht, dem Held traue ich das irgendwie nicht zu. Vielleicht ist es auch jemand ganz anderer.«
»Ja, vielleicht Marco Campo. Immerhin hätte der durchaus ein Motiv. Den nehmen wir uns jetzt als Nächstes vor.«
Bei Campos war niemand zu Hause. Heiko beschloss, es für heute dabei zu belassen und es baldmöglichst wieder zu versuchen.
Lisa heulte. Sie heulte hemmungslos. So, wie schon lange nicht mehr. Sie wusste nicht, was sie tun sollte.
Garfield kam zu ihr und tränenblind streichelte sie das Katzenfell. »Mein Guter, mein Guter!«, wimmerte sie, und der Kater schnurrte beruhigend.
Sie riss das zehnte Tempotaschentuch aus der Verpackung und schnäuzte sich geräuschvoll. Sie musste mit jemandem reden. Aber mit wem? Sie dachte kurz nach und wählte dann eine Nummer.
Nach kurzem Tuten hörte sie ein: »Luft?«
»Papa?«, piepste sie ins Telefon.
»Lisa?«, fragte ihr Vater. »Was ist denn, um Gottes Willen?«
Lisa schniefte. »Papa!«, schluchzte sie.
»Was ist denn los, Kind?«
Lisa schniefte wieder.
»Was ist denn?«
»Stefan ist da!«, krächzte sie ins Telefon und dann erzählte sie ihm alles. Sie erzählte von diesem Abend, wie ihre Mutter sie zu Stefan hatte überreden wollen, wie sehr es Stefan alles leidtäte. Und dass Mama davon überzeugt sei, er wäre der Richtige für sie.
Der Mann fürs Leben.
Papa Luft wartete erst, ob Lisa noch was sagen würde, dann meinte er: »Ich finde nicht, dass deine Mutter entscheiden sollte, wer für dich der Richtige ist. Das solltest du selbst entscheiden! Was ist denn mit diesem Polizisten? Hattest du nicht was mit einem Kommissar?«
Lisa verzichtete darauf zu erklären, dass sie erst seit Kurzem mit Heiko zusammen war oder auch nicht. »Was hat Mama denn über ihn erzählt?«, wollte sie wissen.
»Deine Mutter hat gemeint, er sei ein unverständlich brabbelnder, barbarischer Schwabe, roh und ungebildet, unrasiert, und er würde jeden Samstag Schweine auf so einem Marktplatz verkaufen! Da hat sie wohl ein bisschen übertrieben…!«
Lisa musste nun doch grinsen. Typisch ihre Mutter.
»Also, wenn du mich fragst, hört sich das wesentlich besser an als Stefan, dieser blöde Lackaffe«, meinte ihr Vater nun.
Lisa wusste, dass er Stefan nicht leiden konnte. Und sie fragte sich unwillkürlich, ob sie deswegen ihren Vater angerufen hatte, um von ihm einen Rat in Richtung Heiko zu bekommen.
»Er hat dir so wehgetan, das werde ich ihm nicht verzeihen, niemals.«
Lisa schluckte. »Also, was soll ich denn jetzt machen?«
»Das weiß ich nicht, mein Kind. Das kann dir niemand sagen. Das musst du ganz allein selbst entscheiden. Nicht ich, nicht Stefan, und schon gar nicht deine Mutter!«
»Muss dich unbedingt sehen, muss mit dir reden!«, lautete der Text der SMS, die Lisa von Stefan ein paar Minuten nach dem Telefonat erhielt. Es hörte sich sehr verzweifelt an. Verzweifelt, aber auch einen Tick zu bestimmend.
Also simste sie zurück: »Sorry, hab’ heut keine Zeit.« Zehn Sekunden später klingelte ihr Handy. Es war Stefan. Sie nahm das Gespräch nach kurzem Zögern an.
»Hey, Lisa.«
Lisa schluckte. Wie früher. »Ja? Was willst du?«
»Mit dir reden«, sagte Stefan. »Können wir uns sehen?«
»Ich weiß nicht, ob das gut ist.«
»Bitte! Im Stadtmuseum haben sie eine Vernissage heute Abend. Gehst du mit mir hin?«
Das war typisch Stefan. Kulturell interessiert. Nicht, dass Heiko gar nicht kulturell interessiert gewesen wäre. Aber Stefan war eher der klassische Typ. Neu an Stefan war der bittende Tonfall. Lisa dachte nach. Die Sache
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