Ohrenzeugen
Gottesurteil die Wahl, wie sie hier erfuhr: Entweder beim Getauchtwerden zu ertrinken und als gereinigte Seele in den Himmel aufzusteigen, oder oben zu schwimmen und dann verbrannt zu werden, weil ja schließlich nur Hexen aus Holz waren.
»Brutal«, befand Heiko, als sie vor einer inwändig mit Eisenstacheln gespickten Eisernen Jungfrau standen.
»Ja, da hatte man nichts zu lachen!«, befand Lisa.
Auch die verschiedenen Vorrichtungen zum Aufhängen und Strecken waren sehr schauerlich anzusehen.
»Die hatten ihren Täter immer schnell«, meinte Heiko.
»Da ging’s einfach so lange, bis einer alles zugegeben hat!« Lisa schüttelte fassungslos den Kopf. Im oberen Saal fanden sich unzählige Hinrichtungswaffen. Auch bunt bemalte, überaus groteske Schandmasken und ähnliche Gegenstände waren dort ausgestellt.
»Da.« Heiko deutete grinsend auf einen stilisierten Vogelkopf aus Holz. »Diese Maske wurde geschwätzigen Weibern angelegt! Steht hier! Sei froh, dass du nicht damals gelebt hast!«
Schon hatte er einen Hieb zwischen den Rippen sitzen. »Die hier war für Angeber«, konterte sie. »Na, wie viel PS hat deine Karre noch mal?«
Etwas später standen sie staunend vor dem Käthe-Wohlfahrt-Laden, aus dem laute Weihnachtslieder drangen– gerade ertönte Jingle-Bells. Lisa runzelte die Stirn und sah fragend zu Heiko hin. »Wir haben doch Mai, wenn ich nicht irre, oder? Oder haben wir schon Dezember?«
Heiko erklärte: »Das da ist der Hit bei den Japanern! Glitzernder Weihnachtskitsch und das das ganze Jahr über!«
Lisa lehnte sich gegen die Scheibe und linste an der Schaufensterdekoration vorbei. Tatsächlich konnte sie in der Mitte des Ladens einen Teil eines Weihnachtsbaumes ausmachen– das Ding musste so hoch wie das ganze Gebäude sein!
Die Süddeutschen kamen schon auf komische Ideen. »Da will ich kurz rein«, teilte Lisa mit und Heiko seufzte. Er wusste, was das bedeutete.
Sie betraten den Laden und wurden von einer Woge des Kitsches überwältigt– überall glitzerte, glänzte und gleißte es.
Dazwischen tauchten japanisch-schwarze Haarschöpfe auf und ab.
Lisa zog es zum haushohen künstlichen Weihnachtsbaum in der Mitte des Ladens, der so üppig mit Schmuck beladen war, dass nur noch wenige grüne Kunstnadeln aus dem Glitzer hervorlugten.
»Wahnsinn!«, murmelte sie und sah sich um. Säuberlich sortiert lag der Weihnachtskitsch in hölzernen, adrett wirkenden Kistchen, zerbrechlich wie Kleinode, dazwischen hübsche Verkäuferinnen in Dirndln und mit langen Zöpfen.
Und dann begann die Orgie.
Heiko tappste die nächste dreiviertel Stunde so hilflos wie ein kleiner Welpe hinter seiner Mutter hinter Lisa her, die sich tatsächlich alle Auslagen ansah, um nur ja nichts zu verpassen.
Hier bewunderte sie den feinen Goldstaub auf einer Glaskugel, da drehte sie mit verzücktem Gesichtsausdruck an der Kurbel einer Spieluhr, dort registrierte sie wohlwollend eine moderne Glaskugel im Hundertwasser-Design.
Schließlich erstand sie ein lilafarbenes Glöckchen aus dünnem, sehr zerbrechlich aussehendem Glas, auf das eine puderzuckrige Winterlandschaft aufgebracht war, eine unsagbar hässliche Plüschkatze im Weihnachtsmann-Kostüm, von der sie steif und fest behauptete, sie ähnele Garfield, und eine kleine Spieluhr mit Kurbel, die ›Morgen kommt der Weihnachtsmann‹ spielte.
»Hast du’s jetzt?«, fragte Heiko genervt, als sie den Laden verließen und Lisa Anstalten machte, schon wieder stehen zu bleiben.
Lisa wollte gerade den Mund öffnen und eine Antwort geben, als sie von einem Lichtblitz geblendet wurden. Sie und Heiko sahen irritiert auf und erblickten vor sich einen kleinen, etwa 50-jährigen Japaner, der höflich lächelnd ein »Danksööön« murmelte und sich artig mit zusammengelegten Händen verbeugte.
Und in diesem Moment hatte Heiko Mühe, den Hohenloher in sich zurückzuhalten.
Dann entdeckte Heiko das Schild. ›Antik- und Trödelmarkt‹ stand darauf.
»Gehn wir da noch schnell hin? Ich meine, immerhin habe ich auch die Käthe Wohlfahrt ertragen.«
Lisa spielte mit einer Haarsträhne und sagte dann: »Warum nicht.«
Kurze Zeit später befanden sich die beiden mitten im Getümmel auf dem Parkplatz eines Supermarktes. Heiko ließ seinen Blick über die Szenerie schweifen. Er liebte Flohmärkte. Eine bunt gemischte Menschenmenge wälzte sich durch die Standreihen.
Einige der teilweise skurril gestylten Gestalten hatten eine gespannte Erwartung im Blick,
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