Ohrenzeugen
Denn einen Kaffee konnte Heiko jetzt gut gebrauchen.
Vor ihm stand außerdem ein Teller mit einem sehr rosafarbenen Stück Himbeersahnetorte. Lisa hatte sich für einen ›Träubleskuchen‹ entschieden und war sehr überrascht gewesen, als sie statt der erwarteten Trauben Johannisbeeren vorgefunden hatte.
»Und, jetzt, wo Sie aus dem Schneider sind, Herr Maler… haben Sie denn irgendwelche Vermutungen?«, erkundigte sich Heiko kauend.
Maler hielt inne. »Nein, also, ich habe mit der ganzen Sache nicht das Geringste zu tun, das müsst ihr mir glauben!«
Lisa lächelte gewinnend und fragte konkreter.
»Können Sie sich vorstellen, dass vielleicht jemand von den Campos hinter dem Mord steckt? Oder Herr Held?«
»Held… Campo… also nein, ich weiß nicht… nun, ich denke nicht!«
»Wenn Ihnen noch was einfällt, sagen Sie es uns dann«, mahnte Heiko.
Maler nickte eifrig.
»Ganz bestimmt, Herr Kommissar!«
In der folgenden halben Stunde ging es mal nicht um dem Fall, sondern sie unterhielten sich angeregt mit dem Kleintierzüchter, der sie unter anderem in die Geheimnisse der Kaninchenzucht einweihte.
»Also! Was machen wir jetzt? Wir könnten uns den Riemenschneider-Altar anschauen!«
Heiko brummte etwas von Foltermuseum, was Lisa gleich als nächsten Programmpunkt festlegte. Und so ging’s weiter zur St.-Jakobs-Kirche, die sich idealerweise mitten in der Stadt befand. Mit einigem Widerwillen betrat Heiko das Kirchenschiff. Sie könnten jetzt schon im Café sitzen, etwas trinken und sich die Sonne auf die Schultern scheinen lassen.
Aber nein.
Wenige Betende knieten auf den Bänken, einige Japaner machten Fotos.
Lisa hatte sich bereits einen Prospekt geschnappt und dozierte: »Der Altar heißt Heilig-Blut-Altar! Riemenschneider hat seine Figuren nie bemalt, weil er den Charakter des Holzes betonen wollte!«
»Interessant«, log Heiko.
»Komm, jetzt stell dich nicht so an! Schau’s dir wenigstens einmal genau an«, forderte Lisa und schleifte ihn vor den Altar.
»Die Szene zeigt Jesus inmitten seiner Jünger, wie er Judas als Verräter entlarvt!«, las Lisa. Endlich standen sie vor dem Altar und nun musste auch Heiko zugeben, dass es ein beeindruckender Anblick war.
Unter filigran verästelten Ornamenten, die man dem Werkstoff Holz überhaupt nicht zutraute– vor allem nicht, wenn man an Siegers Holzhaufen dachte–, befanden sich 13 Figuren.
Obwohl sie nicht bemalt waren, hatte man das Gefühl, sie seien lebendig. Die Emotionen in den Gesichtern waren wie eingefroren.
»Der linke Flügel zeigt Jesus, wie er nach Jerusalem einreitet, der rechte wiederum Jesus im Garten Gethsemane. Und auf der Rückseite hat Riemenschneider Glasfenster einbauen lassen«, erklärte Lisa weiter, den Prospekt immer noch in Händen.
Heiko schluckte. »Doch, schön.«
Als sie wieder auf den mittelalterlichen Marktplatz traten, fanden sie sich plötzlich in einer Hundertschaft Japaner wieder, die angestrengt nach oben starrte.
»Was ist denn jetzt los?«, fragte Lisa.
»Ach, die Turmuhr!«, meinte Heiko.
»Und was passiert?«, wollte Lisa wissen, während die Uhr schon anfing zu schlagen. Anschließend öffnete sich ein Fensterchen und eine Figur mit einem riesigen Krug in der Hand erschien. Die Figur trank den Krug scheinbar aus. Aus den Kehlen der Japaner stieg anerkennendes Murmeln und sie spendeten verhalten Applaus.
Lisa zog die Augenbrauen zusammen. Süddeutschland war manchmal schon komisch.
»Was war das denn jetzt?«
»Ach, das ist eine Sage!«, erklärte Heiko.
»Weißt du noch, das mit der Bürgermeisterin?«
Lisa nickte.
»Rothenburg wurde auch belagert. Und hier musste der Bürgermeister drei Liter Wein auf Ex trinken, um die Stadt zu retten.«
»Und, hat er es geschafft?«
»Klaro! War doch ein Franke. Die sind ja so ähnlich wie Hohenloher. Und die Stadt war gerettet!«
Lisa schüttelte den Kopf. »Ihr seid schon ein komisches Volk«, konstatierte sie.
Lisa lachte immer noch, als sie zum Foltermuseum kamen. Hier wurde allerdings das Lachen schnell von einem ziemlichen Grausen abgelöst, als sie die verschiedenen ›Instrumente‹ sah. Der erste Teil des Foltermuseums war in einem Gewölbekeller, in dem es kalt und nass roch, untergebracht.
Verkleidete und überaus hässliche Schaufensterpuppen hockten in winzigen, fensterlosen Zellen. Lisa war froh, dass sie nicht im Mittelalter, sondern heute lebte und dass sie nicht etwa für eine Hexe gehalten wurde. Denn dann hätte sie beim
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