Ohrenzeugen
Anemonen krochen über den Boden, gelb und weiß streckten sie ihre Köpfchen vom duftenden Waldboden weg.
Sita hatte ihren Schritt verlangsamt. Auch sie spürte die Atmosphäre des Waldes, die etwas ganz Besonderes war.
»Hey, wo bringst du uns hin?«, protestierte Lisa lachend.
»In meine Räuberhöhle! Und da musst du dann für mich kochen und die Höhle putzen, während ich auf die Jagd gehe!«
»Macho!« Sie folgten einem schmalen Weg, auf dem aus groben Steinen gehauene Stufen nach unten führten. In Serpentinen wand sich der Pfad den Hang hinab, vorbei an einer enormen Felswand. Und unten rauschte der Fluss, die Jagst.
Heiko klaubte einen Stein vom Boden auf und zeigte ihn Lisa.
»Siehst du?«, fragte er und hielt ihn seiner Freundin hin. Sie betrachtete ihn genauer. Auf dem Stein waren seltsame Erhebungen und Muster zu sehen.
»Seelilien!«, erklärte Heiko. »Hier im Jagsttal haben wir Muschelkalk.«
Lisa bewunderte den Stein gebührend und steckte ihn in die Hosentasche. Dann endlich erreichten sie die Holzbrücke, die sich über das Wehr spannte. Der Fluss rauschte und wogte. Sie überquerten den Steg und waren nun endlich an ihrem Ziel angelangt.
»Das ist die Heinzenmühle«, erläuterte Heiko und breitete die Arme aus wie ein König, der seiner Prinzessin sein Reich zeigt. Vor ihnen erstreckte sich ein Grillplatz, wo schon mehrere Maifeiernde eifrig grillten und Bier tranken.
Das Wehr toste und daneben war eine schöne, saftig-grüne Wiese, auf der schon zahlreiche Decken ausgebreitet lagen.
Und dann wurde es ein sehr schöner Tag. Sie grillten die Würstchen und aßen sie, in der Sonne sitzend. Sita tobte durchs Wasser, glitzernde Tropfen stoben wie Feuerfunken auf. Und Lisa merkte ein weiteres Mal, wie wunderbar Hohenlohe sein konnte.
Lisa warf sich aufs Bett. Sie hatte sich richtig entschieden, das wusste sie genau. Die Sache war unsicher, gut. Aber sie hatte ein gutes Gefühl dabei.
Mit Stefan zusammenzubleiben oder vielmehr wieder zusammenzukommen, wäre vernünftig gewesen. Vernünftig, und– ein Fehler. Denn sie liebte ihn nicht mehr, das wusste sie jetzt. Was von der Beziehung übrig war, war Nostalgie. Nostalgie und ein Tick Melancholie– wegen der vergangenen schönen Zeiten. Mehr aber auch nicht.
Sie griff sich ihr Handy und schaltete es ein. Ganz bewusst hatte sie es aus gelassen. Sie legte es beiseite und begab sich in die Küche, um den schon ernsthaft beleidigten Garfield zu füttern.
Da hörte sie den SMS-Klingelton. War ja klar.
›Sie haben 7 neue Nachrichten auf Ihrer Mailbox!‹
Lisa wurde es mulmig. Es war doch wohl nichts passiert? Mit klopfendem Herzen wählte sie die Mobilbox an.
»Guten Tag und herzlich willkommen!«, schmalzte die ach-so-sympathische Frauenstimme. »Sie hab-en– sie-ben– neue– Nach-richt-en. Er-ste Nach-richt. Em-pfan-gen am Don-ner-stag, dem drei-ßig-sten Ap-ril.« Und dann hörte sie: »Hallo, Lisa, bitte ruf mich an, wir müssen unbedingt reden, ich denke, du machst einen Fehler!«
Stefan. Und noch mal Stefan. Noch dreimal Stefan und einmal ihre Mutter. Nicht zu glauben, Stefan hatte sich ihre Mutter als Verstärkung geholt!
Die letzte Nachricht enthielt nochmals die trotzige Ankündigung, er werde so lange in Crailsheim bleiben, bis sie es sich anders überlegt habe und vernünftig werde.
Super.
Da könnte er lange warten. Garfield kam nun doch zu ihr und wollte gestreichelt werden. Nachdenklich kraulte sie sein Fell. Sie sah auf die Uhr. Halb zwölf. Zeit, ins Bett zu gehen– denn morgen war Dienst, obwohl Samstag war.
Samstag, 2. Mai
»Ah, davon hab’ ich schon gehört!«, sagte Lisa, als sie auf Rothenburg zufuhren und die Stadtmauer aufragte, die zu den besterhaltensten in ganz Europa gehörte. »Das ist doch so eine Mittelalterstadt, nicht?«
»Hatte ich etwa vergessen, dir das zu sagen?«
»Wie lange dauert denn die Kleintierausstellung? Da müssen wir doch bestimmt nicht den ganzen Tag hin. Wir werden doch sicherlich noch Zeit haben, uns ein bisschen die Stadt anzusehen!«
Heiko seufzte und nickte ergeben.
Dass er am vorletzten Tag des langen Wochenendes, das wegen der Arbeit sowieso schon angeknackst war, Kultur würde machen müssen, damit hatte er nicht gerechnet. Aber mit Lisa ging alles.
Die letzten paar Tage waren wunderschön gewesen und er wusste, dass er mit ihr sehr glücklich werden könnte, wenn sie ihn ließe.
Ihm war zwar immer noch nicht nach Heiraten und solchem Kram, das hatte noch
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