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Ohrenzeugen

Titel: Ohrenzeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wildis Streng
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ohne von weiteren Japanern fotografiert zu werden.
     

Sonntag, 3. Mai
    »Und wo fahren wir jetzt hin?«, fragte Lisa noch einmal.
    »Es gibt ein schönes Restaurant auf dem Karlsberg in Weikersheim«, erklärte Heiko. »Weikersheim«, murmelte Lisa nachdenklich. »Nie gehört!«
    Heiko grinste. »Was! Wo doch Weikersheim genau wie Crailsheim eine riesige Metropole ist!« Schon seit einer Stunde fuhren sie nun praktisch querfeldein, passierten kleine Städtchen mit so klingenden Namen wie ›Rot am See‹ oder ›Blaufelden‹.
    Lisa hatte früher nicht geglaubt, dass es in Deutschland eine Ecke gäbe, wo man so weit fahren konnte, ohne auf eine größere Stadt zu treffen.
    »Und ist es noch weit?«, fragte Lisa und betrachtete die Rinder, die am Wegesrand weideten.
    Das ging gut, weil Heiko zum ersten Mal in diesem Jahr das Cabriodach aufgemacht hatte. »Nein«, gab Heiko Auskunft, »fünf Minuten.«
    Etwas später bogen sie in eine kleine Straße ohne Mittelstreifen ein, die unverkennbar zu einem bewaldeten Berg führte. Am Wegesrand standen in bestimmten Abständen Nachbildungen der neun Planeten.
    »Interessant«, fand Lisa.
    Heiko nickte.
    »Ja, das Ganze ist maßstabsgetreu. Die Abstände und die Größenverhältnisse stimmen! Es gibt auch eine Sternwarte hier oben! Und als Letztes kommt die Sonne!«
    Schon zog die aus kupferfarbenen und kugelförmig angeordneten Reifen bestehende Sonne rechts an Lisa vorbei. »Schön!«
    Kurze Zeit später bogen sie in einen kleinen Parkplatz ein.
    »So, wir sind da.«
    Heiko klapperte mit den Autoschlüsseln. Dann drückte er den Cabriodachzusammenfaltknopf, wie Lisa ihn nannte, und sah scheinbar desinteressiert zu, wie sich das Dach über seinem Kopf zusammenfaltete.
    Lisa wuschelte ihm durchs Haar. Kleiner Prolet! Wie süß! Missmutig sortierte Heiko seine Frisur. Sie stiegen aus und gingen auf ein großes Holztor zu.
    Er hielt die Türe auf und sogleich befanden sie sich im Wald. Nicht gerade im tiefen, dunklen Wald, aber in einem schönen Spaziergängerwäldchen.
    »Und hier gibt es ein Restaurant?«, zweifelte Lisa.
    Heiko nickte bekräftigend. »Etwa einen Kilometer in diese Richtung!«
    »Na dann!«
    Hand in Hand wanderten sie auf dem kleinen Waldweg. Es war traumhaft schön. Die Sonne brach durch die schon recht begrünten Baumwipfel und malte farbige Flecke auf den Boden. Unzählige Vögel zwitscherten. Lisa wusste nicht, um welche Arten es sich handelte. Aber sie war sich sicher, dass sie noch niemals zuvor so viele verschiedene Laute auf einmal gehört hatte.
    Am Wegesrand lagen malerisch aussehende Baumstümpfe, Rindenstücke bedeckten den Waldboden, der aussah, als wäre er eine weiche, moosbedeckte Matratze.
    Das Vogelgezwitscher schwoll beinah zum Lärm an, Lisa kuschelte sich an Heiko, wollte ihm gerade zuraunen, wie zauberhaft es hier war.
    Plötzlich hörte sie das Rascheln. Es war ein Rascheln, das da nicht hingehörte. Aufmerksam drehte sie den Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kam.
    »Hast du das…?«, begann sie, kam aber nicht weiter. Denn vor ihnen auf dem Weg stand eine gewaltige Wildsau und musterte sie interessiert aus kleinen braunen Äuglein.
    »Oh Gott!«, entfuhr es Lisa und sie stellte sich instinktiv hinter Heiko. Der kratzte sich grinsend am Kopf.
    »Habe ich tatsächlich vergessen, dir zu sagen, dass es hier frei lebende Hirsche gibt? Und Rehe und Wildschweine und all so Zeug?«
    In Lisa brodelte es und sie stürzte sich mit einem solchen Elan auf Heiko, dass das enorme Wildschwein erschreckt quiekend im Dickicht verschwand.
     
    »Gott, ich hab’ gedacht, mein Herz bleibt stehen!«, sagte Lisa eine Stunde später, als sie ihr ›Boeuf Hohenlohe nach Weikersheimer Art‹ verzehrt hatten. »So was darfst du nie wieder mit mir machen, nie, nie wieder!«
    Heiko trank einen Schluck Cola. »Du hättest dein Gesicht sehen sollen! Unbezahlbar!«
    Lisa zog eine Grimasse. »Haha! Sehr witzig! Du weißt, wie man kleine Mädchen aus der Stadt halb zu Tode ängstigt. Du bist schon ein ganz toller Hecht!«
    Sie grinste. Mittlerweile fand sie es selbst ein bisschen witzig. Ein kleines bisschen. Sie hatte bestimmt wie ein hysterisches Huhn ausgesehen.
    »Die sind ja nicht gefährlich. Noch nicht!«
    »Wie, noch nicht?«
    »Na ja, in zwei Monaten, wenn sie Junge haben, muss man schon aufpassen. Dann wollen sie die Kleinen nämlich verteidigen! Und wenn man dann eine falsche Bewegung macht, dann schlitzen sie dich mit ihren gewaltigen Hauern

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