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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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KZ keinen einzigen Buchstaben enthielt wie auch zu Katyń nicht einen Sterbenslaut, wäre es mir wahrscheinlich auf eine erzdumme Weise recht gewesen, unter dem Eintrag Fulton zu lesen, dieses Missouristädtchen beherberge eine, so die befremdliche Kombination, Irren- und Taubstummenanstalt.
    Als Churchill mit dem Eisernen Vorhang wie mit einem Säbel rasselte, brachte ich es zu keinem Haß auf den Mann. Obwohl er mich im westlichen Fulton am anderen Ende des Radios ins östliche Warschau abschrieb, zu dessen eisernen Traljen mir kein Vorhang aus gleichem Material nötig war. Vielleicht rührte es mich ichbezüglich an, daß er aus dem fernen Fulton so weltläufig vom anders fernen Stettin sprach, einem Ort, über den ich via Kolo und Konin nach Warschau reiste. Von Marne und grauen Augen fort in eine graue Uniform. Und aus Stiefeln, die zur Uniform gehörten, in hölzerne Pantinen. Und in denen in die Hauptstadt Polens. An einen Platz, der sich, bemißtman es von Marne her, beträchtlich weit im Osten befindet.
    Es fällt mir auf, daß mir in der Zelle nicht einfiel, im Brockhaus-Band 10, den es als Einzelstück dorthin verschlagen hatte, nach Kolo oder Konin zu sehen. Zufrieden stellte ich die Anwesenheit der Schriftgröße Kolonel fest, und um den großen Kolonial -Abschnitt machte ich einen Bogen, weil meine Mitleser sich nie von ihm trennen konnten. Wie ich die Einträge Koło und Konin mied. Was gut war, denn über den dort, wie ich jetzt weiß, aufgeführten Zigarrenfabriken wäre es nur zu neuen Raucherdebatten gekommen. Und die Angabe, in Konin seien dreitausend Juden wohnhaft gewesen, hätte zu nichts als beißendem Schweigen hinsichtlich eines anderen Rauchs geführt.
    Ich kann nicht sagen, wann ich zum ersten Mal begriff, daß Informationen soviel wie ihre Gegenstände wert sein können und manchmal weit mehr als die. So daß ihr Austausch von höchstem Belang ist. Es könnte gut gewesen sein, als ich nach stummem Abschied von einer reglosen Reisegefährtin aus der Grünen Minna zu den grauen Männern wechselte. Die hörten mir wie einem zu, der von geweihten Höhen zu ihnen herabgestiegen war. In einem zauberischen Augenblick wurde ich unter den lumpig Uniformierten zum leuchtend Informierten, wie ich nebenhin erwähnte, im Zentralgefängnis habe ich, assistiert von einem polnischen Flieger aus London, Winston Churchill den Eisernen Vorhang beschreiben hören. Und mich seit dieser Nachricht doppelt eingesperrt gefühlt.
    Daß sich Al Capone, die Rakowiecka und ich zur kriminellen Dreiheit reimten, las ich im Auge so manches Kameraden. Wäre mir eingefallen, vom Einfluß zu erzählen, den Hans Fritzsche eine Weile auf mich ausübte, hätten mich die stillgelegten Mannen auf der Stelle zu ihrem Wortwart gekürt. Weshalb ich von dem Propagandisten fast ebenso wie von Mikołajczyk schwieg. Oder von Thüringens rotem Ministerpräsidenten, der ein weniger rotes Deutschland dessen grünem Herzen vorgezogen hatte.
    Auf dem Lagerhof bin ich auch hinter die Notierung von Kommentaren gekommen. Zu den zehn Arbeitslagerjahrenfür den Goebbels-Sprecher Fritzsche fiel mir ein, der hochgestellte Herr habe es besser als jeder beliebige Fritz, da er, anders als wir, mit einer abzählbaren Strafe, also mit Aussicht auf deren Ende, versehen sei. Das machte mich zum gemachten Mann und war keine Kunst. Wo alles wie tot liegt, gilt Blinzeln als Lebenszeichen.
    Gefängnis ist längst keine Besonderheit mehr. Und die Grüne Minna gehört überall zur Verwahranstalt, auch wenn sie woanders anders heißt. Dennoch fand ich den Vorgang herausgehoben. Weder vorher noch nachher bin ich im gepanzerten Schnellbus durch eine Stadt gereist, die nirgends ganz ganz war, aber hier ganz tot und dort nicht so ganz. Niemals zuvor oder seither hat mir der Himmel in ein und derselben Stunde vergleichbare Freuden bereitet. Auch weiß ich von keinem anderen Fall, bei dem ich mir zur eben erlangten Freiheit umgehend eine weitere nahm.
    Nach einem Irrtum, der dreizehn Monate währte, hatten sie mich beim unerhörten Namen Niebuhr gerufen. Hatten mich vors Gefängnistor geschickt und in ein Fahrzeug gesetzt, das Grüne Minna hieß. Grüne Minna, ja und? Auf dem Jauchewagen wäre ich ihnen davongefahren. In einem Schubkarren wie ein besoffenes Schwein. Im Kinderwägelchen, die Füße rechts und links im Dreck. Mit der Mäusekalesche oder auf bekränzter Lafette, solange die Kränze nicht mich betrafen. Von mir aus im Schinderkarren, vorausgesetzt, er

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