Okarina: Roman (German Edition)
behält. Weil man da auch gleich erzählen könnte, man habe Marilyns Spannberührt. Was zwar neben dem von mir eingesäten und abgemähten Rasen im Garten der US-amerikanischen Militärmission, in deren Lastwagen der Stellvertretende Ministerpräsident Polens nach England entschwand, kaum daß ich, halb im Scherz und nichts als mein eigenes Heil im Sinn, geäußert hatte, es müsse sich eigentlich in einem der Lastwagen aus der von mir gärtnerisch und druckerisch betreuten Militärmission und damit aus Polen verschwinden lassen, tatsächlich geschehen, aber bislang von keinem Historiker in einen gerichtsfesten Zusammenhang mit mir gebracht worden ist.
Passiert es eines Tages, wie es in spekulativen Zeitungsberichten sattsam genug geschah, weiß ich, was passiert: Man wird sagen, hinsichtlich meiner sei zwar einiges möglich, doch müsse eingewandt werden, Stalin habe weder Deutsch noch die Okarina gekonnt. Wer so spricht, erwidere ich dann, täte gut daran, seine Entschiedenheit mit einem Sovielichweiß aufzulockern. Schon in der Schule von Gori hat der Georgier Gedichte gemacht. Wer aber Gedichte kann, kann einmal auch die Flöte spielen.
Wie kommt es, frage ich die Erklärer der Geschichte, daß ihr J. W. Stalin, dem ihr doch alles zutraut, nicht zutraut, er habe sich auf Deutsch und Okarinaspiel verstanden? Wie kommt es, daß keiner auf die Idee kommt, ihm habe das Vorkommen von humanistisch Germanischem und barbarisch Musikalischem im Priesterseminar-Teil seiner Biographie nicht gefallen und die Passagen umarbeiten sowie das zugehörige Sprach- und Musiklehrer-Personal umbringen lassen? Wie kommt es, daß sich niemand vorstellen will, der Oberste Kaderleiter, der doch mit Retuschen und Kartuschen die Leitungsgremien seiner Partei post plenum umzubilden wußte, habe, weil ihm einiges darin, Deutsch und Okarina beispielsweise, nicht volksnah genug vorkam, seinen Bildungsweg retuschiert und die um ihn verdienten Volksbildner ausradiert?
Um mir beim Thema Stalins Tod auf die Finger zu sehen, wollte ich nachlesen, was sich in der langen Kurzen Geschichte der DDR dazu finden mußte. Ich fand nichts. Stalins Tod kommt sowenig vor wie unser Leben im Zeichen Stalins. In Februar und März 1953 ist nichts geschehen, was auf die Zeittafel des Buches gehörte. – Ich fürchte, ein Staat, der seine Geschichte so kurz beschreiben ließ, durfte keine lange erwarten.
Ähnlich den DDR-und-Stalin-Erforschern haben die Monroe-Forscher Fragen auszuhalten: Etwa, wenn sie betonen, eine Liebschaft wie die von mir vermutete, durch welche Norma/Marilyn an der Seite eines Senators oder Geheimdienstmenschen nach Warschau geraten sein solle, lasse sich geradeso wie Stalins Deutsch und Okarinaspiel nicht nachweisen. Der Einwand macht mich lachen. Als ob nicht Geheimdienste gedacht wären, etwas, das nie nachweisbar sein soll, unbeweisbar zu machen. Ähnlich löschbar wie etwa den Plan, Walter Ulbricht und Heinrich Brandler auf dem Griebnitzsee zusammenzuführen. – Nebenbei, der Alsterpavillon scheint aus Kostengründen bereits vor Drehbeginn aus dem Thälmann-Film-Projekt gestrichen worden zu sein.
Selbst vom Allerunwahrscheinlichsten ist in Wahrheit vieles geschehen. Daß Polens Vizepremier Mikołajczyk sich im US-Sattelschlepper aus Warschau zu Churchill nach London karren ließ, zählt zur verbürgten Geschichte. Ob die Fuhre mit dem Bauernchef an Bord dabei anfangs über meinen Rasen geführt hat und mit Wissen oder gar in Regie der polnischen Sicherheitsbehörden geschehen ist, in deren Mechanikerkeller ich Churchill vom Kalten Krieg hatte sprechen hören, wird sich noch zeigen müssen.
Auch Kolo und Konin sind – anderen entsetzlich, mir glimpflich – geschehen. Drei Jahre nachdem mit einer Lastwagenfahrt von Kolo nach Chelmno der jüdische Gastod begonnen hatte, wurde ich bei Kolo eingefangen. Am ersten Tag der Freiheit des Städtchens Kolo hat man mich an diesem Ort als Kriegsgefangenen Numeroweißderteufel in die sowjetischen Register eingetragen. In Konin nebenan, dem Ursprungsort von US-Senator Barry Goldwater und von Leopold Infeld, der zu Einstein gehört wie Engels zu Marx, verbrachte ich meine erste Gefängnisnacht. In der Spur von Kolos und Konins Juden bin ich ins zerriebene Ghetto von Warschau gekommen. Es ist mein fester Glaube, daß ich nur deshalb nicht vor Ängsten starb, weil ich von den Ängsten der Juden in Kolo und Konin nicht wußte. Unwissen als Überlebensmacht. Nichtahnenals Rettung. Manchmal, wenn
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