Okarina: Roman (German Edition)
Julitag einen guten Eindruck machte. Obgleich er geschoren gehörte. Weil er hoch genug war, die Spur von einem unwiederholbar wiegenden Tritt auf länger zu bewahren. Wie ich sah, als ich allein und spack and skinny auf den Stufen vor der Versorgungsbaracke saß und mich sonnte.«
»Das wird dir keiner glauben«, sagte Fahrer Ronald, »dieser Geschichte wird es wie Jochen Bantzers Geschichten ergehen. Schon gar für den Fall, deine Norma oder Marilyn wäre einesTages berühmt. Was sie, bedenkt man, daß ihr, die Zeitschrift Life und du, sie kennt, im Grunde ja schon ist.«
Heilfroh, den Fuhrmann in vertrauter Stimmung zu wissen, lud ich ihn für den Fall, Niagara werde eines Tages dort drüben aufgeführt, ins Westkino ein. Vorausgesetzt, es sei weder Feiertag wie bei der Meuterei am Schlangenfluß noch Sonntag wie heute. Weil sich sonntags bekanntlich die heimische Filmindustrie unserer Gutachterdienste zu bedienen pflege. Mit dort drüben meine ich natürlich den kinohaltigen Kern von Westberlin und nicht dessen öden Fransenrand, zu dem es vom Friedhof an der Rudower Chaussee keine hundert Sarglängen weit sei.
»Was du redest – Sarglängen!« sagte Ronald Slickmann, und für einen langen Augenblick kam er mir wieder ganz abhanden. Er warf dem Westen, der von unserem Kurs aus gesehen im Westen lag, einschließlich des armseligen Rudow finstere Blicke zu, als habe er den wilden Wassermann dort ausgemacht, infolge dessen verderblichen Treibens er die wunderschöne Lilofee entbehren mußte. Dabei war ich es, dem dergleichen zwar nicht mit einer Lilofee, aber mit der wunderschönen Fedia geschehen war. Nur daß wir es selten besprachen. Und gemeinhin keine wütenden Blicke auf abgeschlagene Laubenpieperecken warfen, die in jedem Kürbis, jeder Regenwasserwanne, jedem Zaun und jedem Taubenhaussparren nach freier Welt aussahen.
»Wäre das nicht eine Gegend für Walter und Brandler?« fragte ich und blieb, um aus dem Trüben herauszukommen, bei meinem dürftigen Einfall: »Unserer besucht das Grab eines Tischler-Kollegen, sagt mit Blick über den Friedhofszaun: ›Und das ist hier der Westen, ja?‹, möchte für einen besinnlichen Augenblick am Grenzrain verweilen und trifft auf den einstigen Widersacher von der KP-Null, der, um die Lippenleser der Großmächte auszuschalten, mit einer Gießkanne zwischen den Spalieren steht … Was ist? Ist es nicht gut?«
»Nein«, sagte Ronald. »Und nicht nur, weil jeder Friedhof und besonders einer direkt zwischen Abendland und Morgenland der klassische Platz für tote Briefkästen und lebhafte Besucher ist. Hier, wenn dich dein Professor Signale lesen ließe, mein innig beneideter Fernstudent, müßtest du ihm neben dereinheimischen Polizei einen sowjetisch bemannten Wachturm und einen sowjetisch bemannten Jeep melden und auf seine Frage eingerichtet sein, was denn dieses Stück märkischer Heide so wertvoll macht. Ich weiß es nicht, mein Schweizerdegen. Ich weiß nur: Es tat gut, mit dir von Griebnitzsee nach Adlershof zu reisen. Norma und die Niagarafälle, my! – Mein Chef fragt mir außer seinen Aufstandsthesen immer nur Staat und Revolution ab. Nicht so einfach für ihn, daß Lenin zuerst für die Revolution und gegen den Staat war und dann für den Staat und gegen die andere Sorte Revolution. Es lassen sich, sagt er, solche komplizierten Dinge nur mit Dialektik erklären. – Was meinst du, soll ich ihm von Ulbricht und Brandler berichten?«
»Und von Gabriel Flair und mir? Warum nicht, wenn er so ein Dialektiker ist. Von einem Neid wegen meines Studiums hast du nie ein Wort gesagt.« – Und kein Wort zu mir als einem Gärtner der Spione, dachte ich und schwieg mich aus, bis Kadett-Fahrer Ronald Slickmann wissen wollte, ob mir U-Bahnhof Lichtenberg recht zum Umsteigen sei.
Es sei recht, sagte ich, und ich hoffe, wir sähen uns bald zu dritt, der Große Dramaturg, der Große Fuhrmann, und ich, die große Schnauze. Als Zelle vielleicht oder einfach so. Schade nur, daß Flair für westliche Weiberfilme nichts übrig und gegen Westkino seine Prinzipien habe. Schade, weil ich einen, der Ulbricht und Brandler am Griebnitzsee für möglich halte, gern zu Niagara einlüde. So einer sei nötig, die Wahrscheinlichkeit zu bezeugen, daß ich am 4. Juli auf der US-Militärmissions-Barackentreppe in der Hauptstadt Polens einen mikropunktuellen Kontakt mit einer Unirdischen hatte, die sich Norma nannte. Innigsten Kontakt, wie jeder folgern müsse, der wisse, daß mir
Weitere Kostenlose Bücher