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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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und mein Genosse Flair.
    Allmählich sprach Niklas weniger umständlich und behauptete nicht immer, er verstehe etwas nicht, weil seine persönliche Entwicklung leider nicht bis zur Parteimitgliedschaft gediehen sei. Es gehörte nichts dazu, die Ironie zu erfassen, aber zugelassen galt sie nicht bei mir. Ich ging nicht so weit, seine Nichtorganisiertheit, wie das umständlich hieß, für einen Makel zu halten, aber für einen Mangel hielt ich sie schon. Aus einem ebenso romantischen wie hochmütigen Verständnis von der Partei, an dem mich Gestalten wie Malenkow oder Ulbricht nicht hinderten, befand ich, ein scharfsinniger Mensch wie Niklas gehöre hinein in sie. Und sei es nur als Genosse gegen die Dummköpfe und Denkfaulen, deren Organisiertheit nicht zu übersehen war.
    Als ich hinter dem Bahnhof Börse auf die Burgstraße kam und zu den Museen wie zum Dom jenseits der Spree hinübersehen konnte, zwischen denen weit und leer der Lustgarten lag, fand ich mich Mächten konfrontiert, gegen die ich niemals ankommen würde. Von bildender Kunst hatte ich keine Ahnung und war nur aus Widerspruch gegen vernageltes Gerede ein wütender Apologet Picassos und aus reiner Ergebenheit für Frau Wanda zum Anbeter Chagalls geworden. Von Religion wußte ich noch weniger, doch von Kirchen wußte ich, wie lange sie schon standen. Obwohl mir von deren Bündnis mit Architektur und Kunst nur ahnte, hielt ich es für kirchliche Absicht im Bunde mit Architektenkunst, daß der BerlinerDom zwischen Lustgarten und Spree im Triumphe dastand wie eine oft berannte, doch nur leicht versehrte Festung.
    Auch an den Namen des Platzes, den sich der Dom mit Altem Museum und Zeughaus teilte, war ich in Warschau geraten. Er drang aus einem Radio auf mich ein. Nicht aus dem im Mechanikerkeller des Ministeriums für öffentliche Sicherheit, sondern aus dem Volksempfänger im Antifazimmer. Ich hörte einen akustisch schwankenden Pieck, von dem ich kaum den Namen wußte, zum Himmel überm Lustgarten schreien, wo sich amerikanische Lufttransporter im Anflug auf Tempelhof befanden. Der Redner, in dessen brandenburgischen Tonfall sich Fädchen schlesischer Laute mischten, machte die blockadebrechende Fracht nach Kanonen statt Butter und nach Bomben statt Rosinen klingen.
    Als ich fünf Jahre später Richtung Moeller & Moeller des Weges kam, war der Himmel still übern Linden. Seine Leere hatte mit Stalins Abwesenheit nichts zu tun, doch schien mir auf dem halbtoten Platz ausgemacht, daß keine ferne Erbengemeinschaft aus dicklichen oder dürren Zwergen den furchtverlangenden Riesen aufwiegen werde. Da dünkte es mich mehr als falsch, die Lebensgelehrten Flair und Niklas verlassen zu haben. Für angebracht hielt ich es, zu ihnen zurückzugehen. Oder zu fahren. In der Hoffnung, es komme eine 49 des Wegs, begab ich mich zur Haltestelle an der Neuen Promenade. Und schloß aus der geringen Zahl der Wartenden, daß vor kurzem eine Fuhre abgegangen sei. Unentschieden, ob ich zum Großen Dramaturgen und seinem gelehrten Freunde gehen oder den Anmarsch zu Moellers fortsetzen solle, stand ich an den Schienen vor einem Schaufensterchen, ließ meine Ohren nach der Elektrischen horchen und meine Augen bar allen Wohlgefallens auf gebrauchtem Fotozubehör ruhen. Darunter einem Ding, das wegen seiner Unfarbe zwischen Spülwasser und Maulwurf irgendein Verwahrbehältnis zu sein schien. Während es, wie ich dann sah, eine ausnehmend häßliche Okarina war.
    Von hier und heute , dachte ich, da ich das aufdringliche Signal nicht überlesen konnte, und erwog den Erwerb des Instruments nicht nur, sondern tätigte ihn. Obwohl ich wegenUnmusikalität nie an den Ankauf eines solchen Geräts gedacht hatte. Das Geschäft verlief stockend, da die tönerne Flöte ihrem Besitzer als Dekoration galt, auf der er, um mir ihre Funktionstüchtigkeit zu beweisen, Wenn der Topf aber nun ein Loch hat blies. Jedoch kam es zum Abschluß zwischen uns, vermutlich, weil der Umsatz von Zweiter-Hand-Fotozubehör an diesem besonderen Tag in besonders engen Grenzen geblieben war. Die Transaktion diente unserem gegenseitigen Vorteil, indem der Verkäufer kostbaren Auslageplatz für eine Entwicklerschale gewann und ich etwas erwarb, das in seiner entschiedenen Unform nicht ganz in die Tasche meines Mantels, dafür aber zu dessen unentschiedener Farbe paßte.
    Friederike Moeller, die ich nach beeiltem Fußmarsch durch Berlin-Mitte doch noch erreichte, hielt ihre Augen auf der überforderten Manteltasche,

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