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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Sonja Butterweck. Sie, die, solange das diplomatische Protokoll bestimmte, einen Halbschritt hinter mir blieb, trat drei Viertelschritte vor und sah begeistert drein, als mache der Augenblick alle jene wett, die dieser Slickmann, dieser Biermann und dieser Grünlich verdorben hatten. Bei der Einreise habe sie ihr Brillenetui liegenlassen, sagte sie. Kein Wertstück, ein Erbstück, eine Herzenssache. Ob es ein Fundbüro gebe. – Der Bote des Botschafters kam stumm um meine Erlaubnis ein, sie wurde stumm erteilt, die beiden gingen, und als sie zum Ende der Transitfrist wiederkehrten, hatte sich nicht das Etui, dafür das eine oder andere Mitbringsel gefunden.
    Wie wir zum Sprung nach Tegel gurteten, sagte Sonja Butterweck, mir sei hoffentlich recht gewesen, daß sie den jungen Mann entführte. Ich habe den Eindruck gemacht, ich brauche etwas Ruhe. Ansonsten möge ich es als Dienst für mich nehmen, da sie mir sagen könne, wie es in der Heimat weitergehe. Sie habe den jungen Kerl – sehr manierlicher Mann, nicht so ein Rüpel wie dieser Slickmann – um Rapport zum jüngsten und künftigen deutschen Stand gebeten. Mit denen verhalte es sich folgendermaßen, sagte Sonja Butterweck und schlugauftrittshalber einen Ton an, wie er zum diplomatischen Rapport gehört. Ehe sie in die Einzelheiten gehe, betone sie, der junge Mann habe auf die Verläßlichkeit der von ihm genannten Fakten gepocht. Sie kämen vom UNO-Botschafter, der bei der Morgeninstruktion den Washington-Botschafter zitiert habe, welcher sich nicht nur auf ein langes Vier-Augen-Gespräch mit einem Top-Experten für Informationsfragen bezog, sondern ebenso auf eine seriöse Quelle, die nach Ansicht des jungen Genossen – erfreulich offener Typ, keine konspirative Type wie dieser Slickmann – im inneren Kreis der Abteilung für Osteuropäische Studien der Harvard-Universität zu suchen sei.
    Dann ging Sonja Butterweck in die Einzelheiten. Im Zuge, in dem sich das Fremde unter uns verlor, fanden sich in ihrem Vortrag, der ein Gutteil Atlantik überspannte, etliche Details, die mir bei aller Müdigkeit vertraut vorkamen. Das, dachte ich jetlagundlitfaßverdämmert, diese Analysen und Prognosen, diese Einzelheiten und Hauptkettenglieder, diese Indizienfülle und Geistesstärke wären der Stoff gewesen, aus dem sich ein besonders gelungenes Exemplar der Loseblattzeitschrift O KARINA hätte formen lassen. Doch wußte ich, ich flog aus der Neuen Welt in eine beträchtlich gealterte zurück.

36
    Wie eingangs gezeigt, habe ich zum ersten Augenblick meines bewußten Lebens einiges gewußt, das sich unterm Stichwort gefrorene Alster zusammenfassen ließe. Ganz anders stünde es um die Subfrage nach dem letzten Augenblick jener Republik, von der ich meine, sie habe so in mir stattgefunden wie ich in ihr. Nicht nur, weil sich ein Anfang zumeist als Punkt markiert, während ein Ende aus tausend scheinbar unverbundenen Teilen besteht, wüßte ich keine Antwort.
    Um in den Grenzen von 1989 zu bleiben: Von Vergeblichkeit ahnte mir zum ersten Mal ausgerechnet beim Ummarsch für Karl und Rosa. Immer hatte ich in den Posten am RandeHüter des geordneten Ablaufs gesehen; an diesem Tage kamen sie mir wie Aufseher vor. Nicht damit uns nichts geschehe, säumten sie die Straßen; ihr Auftrag war, nichts Aufmüpfiges, Unbotmäßiges, Respektloses zu dulden. Sowjetisches gar, Gorbatschowistisches. Sie achteten, daß unser Gedenken für die Revolutionäre bei hergebrachten Gedanken blieb. So oft wie an diesem Sonntag sind unsere Tafeln nie gelesen worden. Mißtrauen war vom Anfang der Kolonne bis zu ihrem Ende gut, Kontrolle aber wieder und wieder besser. Was, fragte ich mich, könnte die Wachen hindern, nicht nur nach gefährlichen Spruchbändern zu spähen, sondern nach verborgenen zu fahnden? Oder nach einem aufwiegelnden Ruf, der dir vorerst noch auf der Zunge liegt. Wie weit war es bis zur Visitation meines Kopfes? Wie weit war es gekommen! Wie weit hatte ich es kommen lassen.
    Als die Endlosschleife wieder einmal mit Unsterbliche Opfer, ihr sanket dahin den Tonkopf passierte, stellte ich mir neben dem Techniker einen Wächter vor, dessen Augen auf dem anrückenden Magnetband ruhten wie die seiner Kollegen auf den Losungen der anrückenden Kolonnen. Meine Obrigkeit sah ich, die sich zwecks Begegnung mit ihrem Volk spanische Kugelwesten um die führenden Leiber schnürte. Einen Bescheid dachte ich mir, der mich aufgrund einer behördlichen Eignungsprüfung zur Teilnahme an der

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