Okarina: Roman (German Edition)
Alterssitz von Moeller & Moeller. Doch die Mitbegründer des aus Kostengründen auslaufenden Loseblattblatts O KARINA wollten am Aufbruch am Alex nicht beteiligt sein. Wie immer so auch diesmal nicht aus politischen, sondern wirtschaftlichen Erwägungen. Seit der Ostmarkt wegbreche, habe sie umso fester den westlichen für ihre paar Mark im Auge, sagte Frau Moeller und sprach kundig von Stock Market und Silicon Valley.
Herrn Moeller tat leid, sich enthalten zu müssen. Gewiß habe er Anspruch auf einen Platz im Zug der Theaterschaffenden, die nach wie vor des Lobes voll über unsere Programmhefte und die letzten Lieferungen von O KARINA seien. Auch könne er beweisen, daß alle Versuche, ihm eine Schriftart von unverwechselbarem DDR-Charakter abzuzwingen,zum Scheitern verurteilt gewesen waren. In diesem Zusammenhang erwarte er die Aufnahme seiner Otto-Ludwig-Lettern ins Klingspor-Museum. Die Straße sei nichts für ihn; an einen Ort unter Dach und Fach jedoch wolle er mich so gut wie jeder Zeit gern begleiten.
Adele Bick zu fragen, gehörte sich ebenso, wie es mir peinlich war. Seit Leonhards Tod, der auf das vernachlässigte Kratzerchen eines verspielten Kätzchens zurückging, hatte ich mich kaum bei ihr sehen lassen. Ich habe den Umgang mit Witwen oder Witwern nie so recht gelernt und bin froh, daß meine Hinterbleibenden auf meinen Trost gar nicht erst zählen werden. Adele war froh, mich zu hören. Auch wenn sie seit Leonhards Verscheiden derartige Massenaufmärsche doppelt, weil für zweie, verabscheuen müsse, werde sie gehen. Nur Leonhard sei das Wirkliche gewesen, doch wolle er sicher, daß sie unter Leute gehe. Kulturschaffende sei sie als Musiklehrerin ohnedies und überdies entschlossen, im Zuge als Musizierende mitzugehen. Ob ich wohl rate, womit sie den Massen aufspielen wolle. Es sei, ganz wie der erste Mensch, aus Ton geformt und ganz wie dieser zu einfachen Signalen tauglich. Ich habe ihr und natürlich auch Leonhard, als ich zu einer dieser Damen zog – war es die Frau Schoefgen, war es diese Frau Butterweck, war es die Frau Król; nein, die Fedia war es leider nicht –, das archaische Instrument leichthin überlassen. Da werde von mir kein Einwand kommen, wenn sie als Leos Witwe und meine ehemalige Wirtin beim Aufmarsch der Kulturisten dem dringlichen Ruf Keine Gewalt! den Beistand der sanften Okarina leihe. – Ich machte keinen Einwand, nahm mir aber vor, Augen und Ohren offen zu halten.
Von allen Menschen, die so oder so zum Blatt O KARINA gehörten, hätte ich, vorausgesetzt, der Marschweg verliefe wie angekündigt dort, unter den Linden unter den Bannern der Kultur am liebsten Schorsch Niklas begrüßt, der es fünfunddreißig Jahre zuvor in der Burgstraße unfern der Liebknecht-Brücke halblegal unternommen hatte, mich etwas zu lehren, das es zu dieser Zeit im Grunde sowenig wie mich als Lernberechtigten gab. Doch galt er seit dem letzten Oktobertag alsohne ein einziges Warnsignal auf Dauer und unerreichbar verzogen.
Da ging ich allein und bereute es fast, als ich unter den zornigen Bühnenschaffenden so gut wie als erste Sonja Butterweck sah. Entschlossen schien sie – in einer Fassung für dramatisches Ballett – Jeanne d’Arc weit vorm Scheiterhaufen, Johanna von den Schlachthöfen, Katrin mit der Trommel und, trotz deren historischer Irrtümer, Pelageja Wlassowa samt der irrtümlichen Fahne in einem zu geben. Ihre Fähigkeit, ungeachtet allen Rampenblendwerks das Publikum abzusuchen, war ihr geblieben, das histrionische Vermögen ebenso, ins hochformale Gliederschwenken ein lieb laszives Ich seh dich! einzuschließen. – Nun, lieb und lasziv war es diesmal nicht, doch deutete sie ein auftrittshalber an.
Eine halbe Million soll unterwegs gewesen sein. Die wurde zur kritischen Masse, als einige Kulturbetreiber, die auf dem Alexanderplatz zu Mut und Taten angefeuert worden waren, dazu neigten, anstatt ihren Zorn am Palast der Republik linksweg abzuleiten, schlankweg die Linden runter nach Westen auszuschreiten.
Wie man aus dem Geschichtsbuch weiß, lenkten sie nach links ein und zogen an der ehemaligen Tribunentribüne vorbei. Nicht wissen die Bücher, warum sie das taten. Ich weiß es, ich war dabei. Als Beobachter. Als dieser sah ich Adele Bick, die dort Aufstellung genommen hatte, wo die Straße Unter den Linden zwischen Lustgarten und Marx-Engels-Platz sacht nach rechts Richtung Zeughaus schwenkt. Anders als im Fall Butterweck vermied ich allen Blickkontakt.
Adele hatte
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