Okarina: Roman (German Edition)
Luxemburg-Liebknecht-Demonstration sowie zur Abgabe von dreimaldrei Hoch! -Rufen berechtigte. Von Auswertern ahnte ich, die am Ende des Hochakts befänden, diesmal sei er infolge verstärkter proletarischer Wachsamkeit glimpflich verlaufen, wenngleich die Neigung einiger Bevölkerungsgruppen, bei dem Liedtext Brüder, in eins nun die Hände! demonstrativ die Arme zu verschränken, besorgniserregend zugenommen habe.
Mich sah ich als älteren Kerl, der zwar nicht auf der Tribüne stand, aber ähnlich anderen, die gleich ihm zur Kaste der Besänftiger zählten, in einer Sänfte getragen wurde. Ich führte die Stakstange bei mir, mit der ich zunächst Kähne und dann gar die Ströme, auf denen ich schwamm, in eine mir genehme Richtung hatte zwingen wollen. Den Versuch der Aufmarschkontrolle, mir das Holz zu entwinden, hatte ich unter Verweisauf meine Zugehörigkeiten und das nach Ganzobenhin offene Beschwerdepotential von O KARINA abwehren können. Doch sah ich den Gedenktag nahen, an dem diensttuende Windmühlenwächter mein ziviles Gerät für eine Lanze nehmen und vorschriftsfromm zerbrechen würden. Nicht lange, und sie schickten sich an, mich aus der gepolsterten Tragekiste zu werfen wie von einem Roß, das Rosinante hieß.
Wo wir schon im persönlichen Protokoll, das ein gesellschaftliches Ende festhalten soll, bei Umzügen sind: Wenn ich im Januar einen Absturz sah, den ich nicht wahrhaben wollte, sah ich im nachfolgenden November einen Aufzug, der gemeinhin als Aufstieg gilt. Weil Kommunikation ebenso ein Ergebnis von Kultur wie deren Bedingung ist, fühlte sich der Herausgeber der Loseblattzeitschrift O KARINA angesprochen, als hauptstädtisch-theatralische Kreise die Kultur zum Umzug baten. Verstand ich recht, bestanden sie auf der DDR. Sie müsse anders werden und bei sich bleiben, hieß es. Das wollte ich sehen, wollte es geschehen sehen und sehen, ob dabei ein Platz für mich sei.
Ich rief Gabriel Flair an, der trotz oder wegen seines Alters Berater beim Fernsehen war, und Ronald Slickmann, der trotz seines Nichtalters im Ruhestand vorm Fernseher saß. Nicht daß ich unsere Dreierzelle wiederbeleben wolle, jedoch schwane mir Historisches, das für mich zuviel werden könne. Denkbar sei für mich, das Meeting auf dem Alexanderplatz setze sich als Ummarsch über Ostberlins heroische Meile fort, Karl-Marx-Allee, Strausberger Platz, Frankfurter Allee. In der Spur des 17. Juni zurück zu dessen Ausgangspunkt. Auf der werstbreiten Magistrale, auf der sich in einem frühen März drei von dreihunderttausend am Abbild Stalins vorbeigeschoben hatten. Entlang der Einmündung der Straße jener Commune, die vor Mündungen geendet war. Zur Marchlewskistraße, deren Name von Rosas Geliebtem kam. Vorm Ringbahnhof am Lokal vorüber, in dem Lenin eine Rede hielt. Hinterm Ringbahnhof die Lokalität gestreift, in der Erichs Erich das folgenreiche Sagen hatte. Noch einmal mit Auf, Sozialisten, schließt die Reihen! die Lichtenberger Brücke passiert, von der man die Gräberreihen der Sozialisten sehenkonnte. Bis Alt-Friedrichsfelde schließlich, wo 1945 mit Kalinka und Katjuschas die Sowjets eingetroffen waren. Denkbar sei es für mich, sagte ich Ronald, dieses Mal schwärmten Kulturschaffende den Russen mit Salz und Brot und der Botschaft entgegen, hier herrsche nunmehr das freie deutsche Künstlervolk, die Waffen nieder, keine Gewalt!
Slickmann klang glauchauisch wie lange nicht, als er unter Beimengung einer Berliner Redensart fragte, ob ich denn nie genug von dieser Art Auflauf kriege. Gewiß, sie mache einen schmalen Fuß; er aber habe alle Faxen dicke.
Gabriel Flair wollte auch nicht. Anstatt wie in anderen Zeiten Top! zu rufen und Ist gemacht! , nahm er meine Suada hin und bedankte sich nach längerem Bedenken. Er sei nicht mehr flott auf den Beinen und seit einer Kutschfahrt herzlich verwöhnt. Sofort jedoch wolle er sich in Wanderkluft schmeißen, wenn wer ihm auf der Frankfurter Allee die Stelle zeigen könne, an der vom guten Brecht das gute Pferd Falladah so anrührend geschrien habe. Als gelte es meiner Begriffsstutzigkeit, sang er von klirrendem Membran zu klirrendem Membran Da fragte ich mich, was für eine Kälte mag über die Leute gekommen sein. Mit dem Schneid seiner Generation hielt er durch bis zu Sonst passiert euch etwas, das ihr nicht für möglich haltet!
Ich hoffe für ihn, sagte ich, es heiße nun nicht im Sendehaus: Der Flair klagt an. Dann klingelte ich, im Grunde aus Höflichkeit, am
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