Okarina: Roman (German Edition)
ähnlich mir solche Logen. Wir logiertenhochkant und waren fröhlicher Dinge dabei. – Eines erhöhten Platzes im Berufsleben wegen. Hat sie nicht. Vielmehr verbat sie sich den, als die Direktion ihre Talente in neuem Lichte sah. – Des leichteren Zutritts in kommunizierende und publizierende Zirkel wegen. Hat sie nicht. Sie hatte ihre Kreise, die ich auf gar keinen Fall stören durfte; und mit meinen Kreisen sollte ich ihr gefälligst vom Leibe bleiben, mit meinen politischen vor allem. Mit meiner Politik schon gar.
Vom Leibe sonst, wo wir einmal in der Nähe dieses Problemkreises sind, sollte ich ihr nicht bleiben. Wir kamen da ohne groß Anlauf aus. Nachdem ich es nicht ohne Mühe gelernt hatte. Von ihr, die zur unumständlichen Generation gehörte. Wie ich einer aus einer umständlichen bin. Unsere Gegensätze zu bereden, fange ich nicht erst an. Die Gemeinsamkeiten auch nicht. Es war gut, solange es gut war; es ist schlimm, seit es schlimm ist. Und was das Benutzen angeht: Ich habe Jennifer Król benutzt, mein Leben zu verlängern.
Als ich sie traf, hätten sich schon Galoschen zu mir verstanden. Ich konnte es dank ihrer ein Dutzend Jahre vertagen. Ich bin sicher: Es fing zwischen uns nicht an, weil sie es gut bei mir haben wollte. Wir haben es jedoch gut miteinander gehabt. Es gehörte nichts dazu, die Trennung kommen zu sehen. Nur ein Idiot glaubt, er sei nicht älter, als er sich eine Weile anfühlt. Eher gehört etwas dazu, das Unvermeidliche früh zu bereden.
Sie besaß ein Fahrzeug der Marke Trabant, ein Vehikel, in dem sich die Republik wie in keinem anderen Gegenstand spiegelte. Replik in der Nußschale; ein Kombi, in dessen Laderaum Werkzeug und Ersatzteile griffbereit lagen. Kein toter Ballast, weil besser bei jeder Ausfahrt dabei. Die Besitzerin bewährte sich auch hier und nicht nur an Kommoden oder mir als Restauratorin. Jedoch waren Berlins Berge manchmal einfach zu schroff. Z. B. dort, wo der Kammweg, wenn man von der Mollstraße kommt und in die eisigen Höhen der Prenzlauer Allee will, vor und nach der Tankstelle erbarmungslos steil nach oben zielt.
Mit Ende der Friedhofsmauer tendierte der Steigflug gegen Null. »Wieviel hat er denn runter?« wollte ich wissen und bekam,sehr ungnädig gleich, eine Archäologenzahl genannt. »Na ja«, sagte ich und fügte, um nicht herablassend zu klingen, hinzu, früher oder später werde es mir ähnlich gehen. »Besser später«, sagte sie und wollte wissen, wieviel ich denn runter habe. Weil ich von ihrer Gnadenlosigkeit wußte, schlug ich nicht vor, sie möge raten. Locker könnte ich, sagte ich, ihr Vater sein. Wenn das so wäre, sprach sie, als ihr Wägelchen auf der Kammhöhe hinterm Prenzlauer Tor in die Gerade kippte, erwüchse mir nicht das geringste Problem.
So gesehen, konnte man von Jennifer Król alles erfahren; man mußte sie nur lesen können. Mußte entpacken, was sie an komprimierter Information zur Verfügung stellte. Einzig mit den Kindern, ihrem, das sie in Grenzen auch meines werden ließ, und unseren beiden war sie ein tausendfältig ausgefalteter Mensch. Sie hatte das Zeug zur Mutter aus den Legenden; sie hat es dann sehr nötig gehabt. Wenn ich die Frage, was sie von mir erwartet haben könne, noch einmal an mich heranlasse, traue ich uns die Antwort zu: Der Knabe Noah sollte es gut haben. Dem Knaben Noah sollte es an nichts mangeln; an irdischen Gütern nicht und nicht an den Bildungsgütern der Welt. Sie hat nicht nach einem gesucht, der das sichern half, aber sie hat so einen gefunden. Wenn ich – sagen wir bitte: unter anderem – ein Mittel zu Zwecken gewesen sein sollte, dann hieß der Zweck Noah Król.
Als ihr Vater einmal doch gestorben war, zogen wir ins Haus ihrer Mutter, in dem auch zwei musikstudierende Jungverwandte wohnten. Weit draußen war das, aber am Wasser. Am Dammersee, der kein Havelsee ist, und den mit dem Flußsee Alster verbindet, daß er, wie die Alster am Anfang meines Lebens, gegen dessen Ende mit einem frostigen Ereignis aufwartete. Unbedingt werde ich davon berichten, doch ist ebenso unbedingt zuerst eine andere Lücke zu schließen. Eine Lücke, die ich ungeschlossen ließ, als ich von nachgereichten Verdächten gegen Jennifer Król sprach. Zu denen gehörte eine aus der Paranoia unseres Jahrhunderts gewonnene, nein, nicht Vermutung, aber nicht ganz und gar auszuschließende Möglichkeit, mit der mir, bei seinem Leben, sage ich, niemand außer mir hätte kommen dürfen.
Auch bei mir bekam sie erst
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