Okarina: Roman (German Edition)
und bedeutete ihm mit wenigen, was zu erwarten sei, wenn wir unter den Augen des Präsidenten de la République Française einen älteren Herrn, der in einen Tisch verbissen schien, am Defilee entlang saalausgangswärts schleppten. Einer Saaltür zu, durch die Frankreichs Oberster Gebieter soeben verspätet eingetreten war, um uns armen Hanseln und Ost-Boches in allerletzter Minute die rettende Hand zu reichen. Nein, diese Transportart schied aus.
Nach langem, von maritimer Übung geprägtem Ausschauhalten, bei dem er wohl berechnete, wann es zur Blickkollision zwischen dem tischbeladenen Friedrich Moeller und dem verantwortungsbeladenen François Mitterrand kommen müsse, tat Johann Meißner einen Polizeigriff, dem sämtliche Daten der explosiven Lage innewohnten. Der Offizier zog aus seiner zivilen Hosentasche eines jener Schweizer Offiziersmesser, die nicht nur der Schweizerdegen kennt und schätzt, klappte das Sägeblatt auf und schnitt Friedrich Moeller heraus aus dem Tisch.
Will sagen, Herr Meißner schrotete einen Halbkreis, eng genug, den Schnittweg zwecks Zeitgewinns zu minimieren, weit genug, jeglichen Gesichtsverlust des Druckers zu vermeiden, aus dem Plattenholz, der diesem dann fehlte, weil das Tischstück zwischen Herrn Moellers Zähnen verblieb. Nunmehr ganz Polizist, dem kein Saft oder Korn das Auge trübte, geleitete der Wasserhüter den Schriftentwerfer aus dem Saal – ein freundlich hilfreicher Mann einen unverkennbar hilflosen Herrn, der erkennbar ein Mundproblem hatte.
Der Vollständigkeit halber: Obwohl es mir nie bestätigt wurde, glaube ich, daß Frankreichs Staatspräsident etwas Verstörendes gesehen hat. Seinen entrückten Blick verwahre ich, in dem abgrundtiefes Befremden mit unüberbrückbarem Unverständnis versammelt schien. Selbst wenn die deutschen Zustände dazu allen Anlaß gaben, konnten sie allein der Grund nicht sein.
Der Vollständigkeit halber auch dies: Das deutschfranzösische Bereitschaftsärzteteam wandte in seinem fliegenden Hospital eines der Lockerungsmittel an, die bei Staatsbesuchen zum medizinischen Standard zählen. So hob sich Moellers Maulsperre auf; das Tischsegment, dessen tadelloser Bogen von der Schärfe einer Schweizersäge und der Stärke eines Wasserschutzpolizisten zeugte und in dessen Ober- und Unterfläche die tadellosen Beißzähne Friedrich Moellers unter Beimengung von Taschentuchfasern tiefe Spuren hinterlassen hatten, wurde an das Hotel am Dom zurückerstattet. Einer der Haushandwerker konnte nur durch den Hauptmanager daran gehindert werden, Platte und Plattenteil so miteinanderzu verleimen, daß nichts mehr von ihrer einstigen Trennung zeugte. Was blieb, war Zeugnis dennoch: Ein Beistelltisch, in welchem, wer lesen wollte, lesen konnte von den verbissenen Kämpfen in unserer Zeit.
Ich riet Jennifer, das Artefakt fürs Märkische Museum zu erwerben, doch hatte das Hotel sein und Moellers umkordeltes Möbel längst in der Empfangshalle ausgestellt. Eine Plakette informierte über den Berliner Abbiß , zu dem es in der Franzosenzeit gekommen sei, als ein Tischlerjunge die Brotkrumen, welche ihm Napoleons Soldaten vor die Füße streuten, mit den patriotischen Worten zurückgewiesen habe: Lieba fress ick den Tüsch!
»Hört sich an«, sagte die Restauratorin, »als arbeite dein Jochen Bantzer in dem Hotel. Aber Erwerb ist zur Zeit kein Wort unserer Museumssprache. Wer weiß, erwerbslos vielleicht bald.«
In Jennifersprache war das ein langer Absatz; in Jennifers Leben dauerte es nicht lange, bis er eine unmuseale Gegenwart beschrieb. In unserem Leben also. Wir waren 1977 zusammengekrochen, wie ich es nannte. Was sie nicht leiden mochte. Sie mochte manches nicht, was ich sagte. Als ich ihr mitteilte, ich habe mich in sie vergafft, nannte sie den Ausdruck doof. Den Zustand nahm sie zum Glück hin. Zu meinem einstweiligen Glück. Warum sie ihn hinnahm, sagte sie nicht.
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Man hat mir, als es vorbei war, verschiedene Erklärungen angedient. Ich wies sie, ich weise sie alle zurück. Sie habe mich als eine Gehobene Mütze, zu denen ich als Leiter der Ausnahmeschrift O KARINA wie als Mitglied Grenzüberschreitender Gremien zählte, nur benutzt. Des Passes für die Westfahrt wegen. Hat sie nicht. Einmal ist sie mit mir beim achtzigsten Geburtstag meiner Mutter in Marne gewesen. Wie andere bei anderen Feiern in Tölz oder Schwäbisch Gmünd. – Eines Ferienplatzes in einem staatlich bewachten Meereshotel wegen. Hat sie nicht. Sie verabscheute
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