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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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viele Stunden noch bis zur Suppe. Was verschlüge Leid, wüßte es keiner auf einen Reim zu bringen. Wozu den hängen, der von Zusammenhängen nicht ahnt. Euer Angehöriger, liebe Angehörige, hat geachtet, daß er bei Verstand blieb. Und daß bekannt blieb, er habe einen. Er enthielt sich auch dann des Kreischens, wenn auf dem Balken im Chlordunst rechts und links von ihm zweie saßen, die ihren freien Fuß für möglich hielten, solange es den Großmufti von Jerusalem gebe.
    Obwohl, auch euer Verwandter war bei Merkwürdigem anzutreffen: Nicht totgeschossen zu werden, erleichterte ihn sehr; kein Totschießer zu bleiben, erleichterte ihn mehr. Ja, ich weiß, ihr Vettern, es hört sich wenig glaubhaft an. Und doch ist es so: Tiefer ins Bein ist mir keine Begegnung geschnitten als die mit einem Jungen, der mehr noch als ich ein Junge war und den ein anderer Junge abgestochen hat. Auf Geheiß, gewiß. Ob mit Genuß, weiß ich nicht. Ich muß, ich will es nicht wissen. Mir langt, was ich sah. Was mich wundert, da ich im steilen Auf und Ab meiner Mordskarriere anderes genauer sah. Als habe der Gott, der Schieß- und Stech- und Hieb- und Würgeeisen wachsen ließ, mir die Kürze durch Würze ausgleichen wollen, steckte er mich in einen Preßkurs. Wodurch sich an der Nachhaltigkeit der flüchtigen Begegnung mit dem fremden Jungen nichts änderte. Ich sah ihn erst, als sie ihn hatten. Was natürlich heißt: Als wir ihn hatten. Ich war ein Teilder Gruppe, an die er geriet. Wir atmeten gerade wieder ruhig nach zuviel Pulver und Blei, denen wir durch gestreckten Galopp entgehen konnten. Ob er im Schnee geschlafen hat, ob er uns für seine Leute hielt, ob er von grünen oder schwarzen Augen träumte und uns weder hörte noch sah, ob er einfach blöde war – wir hatten ihn. Mit kindischer Blödheit, seiner oder meiner, ließe sich erklären, warum ich keine Angst an ihm fand. Er ging neben uns, wie ihm geheißen wurde, und gab Antwort auf Fragen nach woher und wohin. Er schien nicht aufgeregter als der Junge am Dorfrand, den wandernde Städter nach dem Dorfkrug fragen. Dabei sah man uns an, aus welchen Städten wir gewandert kamen. Unsere Mäntel und Mützen trugen markige Marken, unsere Hände Gewehre. Der Feldwebel, unserer, meiner, sprach nicht unfreundlich mit dem Jungen, im Tone eben, in dem man nach örtlichen Bieren fragt. Die Tonart blieb so, als sie dem anderen Jungen galt, einem von uns. Ich meine die Weise, in der unser Feldwebel, meiner, einem seiner Soldaten, einem meiner Kameraden, einem von uns befahl, ach was, befahl, als er einem von uns sagte, er solle das erledigen. Daß der Kamerad, der den Auftrag statt meiner bekam, nicht nur älter, sondern erfahrener als ich und der andere Junge war, zeigte sich, als er gleich verstand. Ich hätte fragen müssen, was und wie erledigen; mein Kamerad fragte nicht. Er gab dem Jungen, der uns, kann doch sein, aus Vorsatz und freiem Willen zugelaufen war, einen Schubs, keinen sanften, keinen unsanften, einen bemessenen Schiebeschubs, der ihn in Bewegung setzte. Etwas tiefer in den Wald und hinter das nächste Buschwerk. Nicht zu weit, denn mein Kamerad wollte bei seinen Kameraden, wollte bei uns bleiben, wenn es erledigt war. Den jüngeren Jungen verdeckte bald Gebüsch, den älteren konnte man, konnte ich sein Messer ziehen sehen. Nicht das ungeschlachte Bajonett, das gerade taugt, Versteckte aus dem Schober zu stochern, sondern ein Messer, das ihm schräg und bereit am Koppel saß. Ein Nahkampfmesser. Nahe genug waren sie einander, doch Kampf fand keiner statt. Vorher, in dem kurzen Gefecht, dem unser langes Rennen folgte, gerieten meine Kameraden und ich an den Feind. Die Begegnung konnte Kampf wohl heißen, weil wir Kugeln tauschten.Wobei freilich viel Platz zwischen den Geschossen blieb. Zwischen den beiden Jungen aber, der eine ganz, der andere halb hinter verschneitem Gesträuch, war nicht viel Platz, wie ich mit furchtsamen Augen sah. Weniger auf Schuß- als auf Schubsnähe kamen sie sich nahe. Auf Messers Nähe und nicht auf Messers Schneide. Auf Messers Schneide meint, es könnte anders kommen. Hier konnte nichts anders kommen. Ich sah, wie der eine sein Messer zog. Doch wohin er es dem anderen stieß, sah ich, vor allem der Büsche, aber wohl auch meines Lidschlags wegen, nicht. Beim besten Willen kann ich nicht sagen, ob der eine dem anderen eine Hüftvene oder die Leberarterie zerschnitt. Ich sah nur den Schwung der Klinge und nicht ihren Einschlag. Aber daß der

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